Wir steigen ein in das Abenteuer der Geschichte der Philosophie
Entwicklung der Menschheit
Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie die Menschheit vom unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmen zum reflektierenden und philosophischen und psychologischen Denken kam, beginnen wir also mit der Entwicklung der Menschheit selber:
Vor etwa 2,5 Millionen Jahren verbreiteten sich verschiedene Menschenarten,
▪ Homo rudolfensis, Rudolfsee in Kenia, vor 2,4 bis 1,6 Millionen Jahren, Ostafrika
▪ Homo habilis, geschickter Mensch, vor 1,9 bis 1,6 Millionen Jahren, Ostafrika
▪ Homo antecessor, Vorgänger, vor 0,9 Millionen Jahren, Spanien
▪ Homo erectus, aufgerichtet, vor 1,7 bis 0,03 Millionen Jahren, Algerien, China, Java
▪ Homo ergaster, Handwerker, vor 1,8 bis 1,4 Millionen Jahren, Ostafrika, Südafrika, Georgien
▪ Homo heidelbergensis, Heidelberg, vor 600.000 bis 100.000 Jahren, Deutschland, England, Frankreich, Äthiopien, Sambia, Griechenland
▪ Neanderthaler, Homo neanderthalensis, Neandertal, vor 200.000 bis 27.000 Jahren, Deutschland, Israel, Syrien, Irak, weite Teile Europas
▪ Homo floresiensis, Indonesische Insel Flores, vor etwa 100.000 bis 12.000 Jahren, Flores
Moderner Mensch, Homo sapiens, ist ein Säugetier aus der Ordnung der Primaten, Primates. Er gehört zur Unterordnung der Trockennasenaffen (Haplorhini) und dort zur Familie der Menschenaffen (Hominidae). Seit rund 200.000 Jahren, zunächst in Afrika, später auch in Europa und weltweit.
Von diesen Menschenarten überlebte nur der Homo Sapiens. Seit etwa 200.000 vuZ. hatte sich Homo Sapiens annähernd so entwickelt, wie wir heute sind.
Um 130.000 vuZ. begannen die Menschen ihre Wanderungen über die Kontinente. Dabei führten sie auf Flössen, vielleicht Einbaum, kufenwagenartige Schlitten Sack und Pack mit sich. Wenn sie rasteten oder sich für einige Zeit nieder liessen, hausten sie in Höhlen, oder sie spannten Häute von Tieren über Holzpfähle, um sich vor Wetter zu schützen.
Die damaligen Menschen kannten keine Abstraktionen wie Tag und Nacht, sie erlebten Hell und Dunkel und hatte keine Begriffe davon, warum es Hell und Dunkel wurde, je nach Jahreszeit mal das Helle länger oder kürzer, mal das Dunkle. Sie wussten nicht, dass der grosse helle, warme Fleck während der Hellezeiten, die Sonne war, und dass der grosse helle Fleck und die vielen kleinen hellen Flecken während der Dunkelzeiten Mond und Sterne waren. So kannten sie auch nicht die Abstraktionen Schlaf und Wach, sie kämpften im Wachzustand um ihr Überleben, ohne zu wissen, dass es ihr Leben war, und irgendwann schliefen sie einfach vor Erschöpfung ein. Sie kannten noch keine Zeitbegriffe, und noch keine für die Jahreszeiten und die unterschiedlichen Wetterverhältnisse.
Und die Menschen hatten keine Begriffe davon, warum es mal kalt, mal warm war, wieso gelegentlich Nässe auf sie fiel, die Abstraktion Regen war ihnen unbekannt, und gelegentlich Winde ihnen die Bewegungen und das Leben schwer machten, wobei ihnen die Abstraktion Wind ebenfalls unbekannt war.
Und die Menschen waren überwiegend hungrig und ständig mit der Suche und dem Kampf um Nahrung beschäftigt. Vor der Psyche kommt der Hunger. Hunger, als menschlicher Grundtrieb, wie der Philosoph Ernst Bloch im 20. Jahrhundert schreibt.
Und ständig gab es Unfälle bei der Jagd oder bei der Durchquerung schwierigen Geländes, oder das eine oder andere Mitglied der einzelnen Menschengruppen war krank, in der Regel unheilbar, da die Menschen weder den Begriff Krankheit kannten, noch dieser etwas wesentliches entgegen zu setzen hatten.
Im Grunde lebten die Menschen damals überwiegend in Ängsten und Paniken vor den Himmelsgestirnen, Hell und Dunkel, den wechselnden Wettern und der Vielzahl gefährlicher grosser und kleiner Tiere, und auch Pflanzen, da sie vom Verzehr vieler Pflanzen, Beeren, Früchte krank wurden und meist starben.
Denken und Phantasieproduktion dieser Menschen drehte sich um den Überlebenskampf.
Schliesslich wurde vor etwa 40.000 Jahren ein Teil der Menschheit sesshaft, und sie begannen neben Jagen und Sammeln mit Ackerbau und Viehzucht, und sie bauten Häuser.
Und in dieser Phase dachten, phantasierten sich die Menschen wegen unangenehmen und angenehmen Eindrücken und Erlebnissen, Ängste und Wünsche, als Gottheiten, als übermächtige Kräfte die ihr Leben bestimmten. Und die Menschen begannen sich künstlerisch auszudrücken mittels der Herstellung von Schmuckstücken und von Malerei an Höhlenwänden.
Die Psyche der Mensch begann also zu sublimieren, Eindrücke geistig, künstlerisch, also abstrakt zu verarbeiten.
Andere Menschengruppen zogen weiter umher, wanderten über weite Gebiete und Kontinente, zufuss, mit Eseln und Pferden, mit Kamelen und Dromedaren, mit Lamas, Elchen, Rindern, Elefanten, etc. Nach den Vorbildern von Schildkröten und Schnecken trugen sie ihre Häuser mit sich. Mittels Tüchern und Baldachinen bauten sie sich Dächer über dem Kopf, oder hielten Schirme aufgespannt, wenn sie auf Tieren ritten. Ihr Hab und Gut transportierten sie auf überdachten Kufenkutschen und bald auch auf Radkutschen, – bis heute.
Unterschied also zwischen dem Begriff `Schlaf´, als menschliche Bedürftigkeit und dem Begriff `Nacht, als menschliche Raum-Zeitbestimmung hängt mit der Bewältigung der Nahrungsproduktion zusammen. Die aktive Produktion von Nahrungsmitteln durch Ackerbau, der Nutzung domestizierten Pflanzen, unterwirft die Menschen zuvor unbekannten Disziplinen, bei denen aktives Zeitbestimmen eine entscheidende Rolle spielen. Die Zeit der Dunkelheit abstrahiert sich vom passiven Bedürfnis Schlaf zur objektiven Notwendigkeit Nacht, als einem Moment in einer gesamten Sozialorganisation. Zu den Aufgaben der Priesterkaste, Schamanen, Magier, gehörte die Beobachtung der Jahreszeiten, damit sie dem Volk die Zeit für die Weizensaat und für die Feiern ihrer Feste verkünden könnten. Zu diesem Zweck beobachteten die Priester Sonne, Mond und Sterne um den ersehnten Regen vorauszusagen und die richtigen Zeitpunkte für die Saat. Das Zusammenbringen des kontinuierlichen Kreislaufs nicht menschlicher Natur und sozialer Tätigkeiten der Menschen, fordert den Menschen zu abstrakten Denken, zur Festlegung von Geschehensabläufen.
Zeit an sich gibt es nicht. Die damaligen Menschen haben noch kein Gefühl für abstrakte Zeit, als etwas das verstreicht, Sie sind da, existieren (was nicht gleich bedeutend ist mit unserem heutigen Verständnis von „Leben“), und sind beschäftigt mit der Produktion von Vorräten, in Abhängigkeit des unbeherrschbaren zyklischen Wechsels der Jahreszeiten. Begriffe von Tag, Monat, Jahr fehlen; und es fehlen die dazu notwendigen Zahlwörter, die abstraktes Zählen erst möglich machen. Symbole, Naturerscheinungen wurden zu Orientierungsmitteln für Saat und Ernte. Nichts anderes ist heute die Uhr und der Kalender, es sind Orientierungsmittel, „Fahrpläne“ für die soziale Institution „Zeit“. In einer Welt ohne Menschen gäbe es keine Zeit. Das Universum hat keine „Zeit“. Da trifft Freuds Wort zu, das Unbewusste kenne keine Zeit. Wo soll Zeit denn herkommen? Wer soll sie bestimmen? Monde, Planeten, Sonnen, Gallaxien? Zeit „verstreicht“ nicht, der Mensch altert, die Jahreszeiten kommen und gehen, etc. Zeit ist eine soziale Institution, zuerst bestimmt von Priestern, später zusätzlich geteilt mit weltlichen Staatsautoritäten, bis schliesslich das Festlegen der Zeit, so wie das Prägen des Geldes, ein Monopol des Staates wurde. Man denke heute an die Einführung der Sommer- und Winterzeit. Es heisst, man habe eine Stunde gewonnen oder eine Stunde verloren. Nein, die Uhr hat eine Stunde „gewonnen“ oder „verloren“, indem sie vor- oder nachgestellt wird. Die Planetenbahnen und Naturereignisse nehmen ihren unabänderlichen zeitlosen Lauf. Oder, Armin Harry lief in den sechziger Jahren 100 Meter in 10 Sekunden. Danach beschlossen die Sportweltmonopolisten die Hundertstel Sekunde einzuführen.
Die damaligen Menschen also kannten z.B. keine Vorausberechnung des Mondumlaufs um die Erde. Sie wussten ja nicht einmal, dass sich Erde, Sonne und Mond bewegen, bzw. wussten nicht von ihrer Identität. Sie hatten keine Begriffe von „gestern“, „heute“ und „morgen“, von „vorher“ und „nachher“, erst recht hatten sie keinen Begriff von Ära-Zeitskalen für Sequenzen von Hunderten oder Tausenden von Jahren. Die Menschen verfügten nur über einen geringen erlernten Wissensfundus. Selbst ein Unterschied zwischen Traum und Nichtraum begann sich erst zu bilden. Gerade erst wurde die erste Schrift, die sumerische, entwickelt. Eine Altersbestimmung der Menschen gab es noch nicht. Gesellschaftsprozesse „gehen nicht für immer weiter“. Sie gehen nur so lange weiter wie sie erinnert werden. Wenn sich im Jahre 3000 n. Chr. keiner mehr an uns im Jahre 2007 erinnert, oder niemand mehr da ist, der sich erinnern könnte, dann ist auch Ende mit der sozialen Zeit. Wenn wir sagen, es ist jetzt 18:00 h, könnten wir nichts damit anfangen, wenn wir nicht zugleich „früher“ und „später“ im Auge hätten, nämlich das es 17:00 h war und gleich 19:00 h sein wird. Die Wandlungsfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hängt von den lebenden Generationen des Augenblicks ab. Nur im Erleben der Menschen gibt es soziale Zeiten.
Die physikalische Zeit wurde erst spät von der sozialen Zeit abgezweigt. Die von Menschen subjektiv geschaffene und empfundene Zeitorganisation gilt bei den Grundgesetzen der Physik nicht. Die von ihnen bestimmten Naturgesetze nennen eine vorwärts- und rückwärts laufende Zeit. Das in der Wirklichkeit der Natur vorher und nachher und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erlebt werden, kann die Physik nicht erklären; weil sie von Menschen abstrahiert, weil sie einen Gegensatz von Natur und Menschengesellschaft zelebriert, als ob beide voneinander existieren würden. Noch bei Ptolemäus erschienen Menschheit und Natur nicht als existentiell geschiedene Bereiche der Welt. Ebenfalls die mittelalterlichen Mystiker trennten nicht zwischen Mensch und Natur. Bei ihnen war Natur die Gesamtschöpfung Gottes mit Menschen, Tieren, Wasser, Pflanzen, Sonne, Mond und Sternen. Hier waren die „ewigen Gesetze“ göttlich (der eigentlich auch zur Natur gehörte als eine Art Himmelskörper), und erst allmählich wurden diese Gesetze durch die konstruierten Naturgesetz abgelöst. Bei Newton klingt noch die Gottgläubigkeit an durch seine Bezeichnung des Weltalls, des Raumes als „Sensorium Gottes“. Er prägt den dreidimensionalen Raum. Und in diesem „absoluten Raum“ interpoliert er die „absolute Zeit“. Auch für Aristoteles existierte der Raum objektiv. Die Zeit, bei ihm eng mit der Bewegung verbunden als objektive Grundlage, sollte jedoch als „Zahl der Bewegung“ nicht ohne die Seele existieren, denn nur der Mensch könne zählen.
Einstein theoretisierte schließlich das vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum. Er fügte dem elastischen Raum die Zeit als vierte Dimension hinzu. Dies Kontinuum liefert verschiedenen Beobachtern aus verschiedenen Positionen verschiedene Zeitperspektiven.
Da Zeit aber nicht „ist“ sondern von Menschen „gemacht“, „organisiert“ wird, setzt dies voraus, ob ein Beobachter auf dem Uranus „Zeit gemacht hat“. Dass jede Veränderung im „Raum“ eine Veränderung in der „Zeit“ sein soll, und umgekehrt, ist ein Trugschluss. Die „Zeit vergeht“ nicht, während man im „Raum“ rum sitzt. Der Mensch ist es und die übrige Natur der Tiere und Pflanzen, die altern.
Einsteins Raum-Zeit-Union ist eine Projektion „nach oben“, als eine aussermenschliche, sozusagen die Rückkehr zum „absoluten Gott“. Da war Marx mit seiner Definition, Zeit sei der Raum der Geschichte menschlicher Tätigkeiten näher an einer Menschenzeit.
Zeit ist nicht gottgegeben und nicht physikgegeben. Sie ist von Menschen gemacht, orientiert an einer Organisierung mit den Wetter- und Flora- und Faunaverhältnissen. Die „Arbeitszeit“ zu Beginn der kulturhistorischen Entwicklung im ausgehenden Neolithikum wurde datiert mit der Zahl- und Masseinheit ca. 3000 v.Chr., oder v.u.Z. Bezeichnenderweise sind in den verschiedenen Kulturen Namen von Religionshelden als Zeitkoordinaten bestimmt worden. Auch der Kalender ist ursprünglich eine sakrale Institution. Und das Neujahrsfest dient in verschiedenen Religionen der Regeneration durch Rückkehr zum Ewigen, dem über der Zeit stehenden.
Natur ist eine kontinuierliche Sequenz von Veränderungen in den Konfigurationen von Materie – Energie. Der Helium Meiler Sonne tritt als Phase in der Geschehensabfolge nur deswegen für das menschliche Bewusstsein hervor, weil er für Menschen existentielle Bedeutung hat. Jenseits dessen wäre die Einteilung „natürlicher“ Wandlungskontinuen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erlebnislos und sinnlos. Gegenwart wird unmittelbar erlebt, Vergangenheit erinnert, Zukunft antizipiert. Was war, was ist und was sein kann, kann nur erlebt werden. Es sind dies „Erfahrungszeiteinteilungen“. „Strukturzeiteinteilungen“ sind Begriffe wie „früher“ und „später“. Sie repräsentieren Positionen eines Wandlungskontinuums an sich, mechanische Ursache-Wirkung-Verhältnisse.
Die fünfte -vergessene- Dimension des Universums, der Natur, ist diejenige des Bewusstseins, der Erfahrung, des Erlebens.
Das Zeitbestimmen, Zeitorganisieren entwickelten Menschen im Zuge der Bewältigung, oder besser der Auseinandersetzung mit den Himmelskörpern, den Lichtern im Hellen und im Dunkeln „da oben“, den Pflanzen, Wasser und Tieren. Zeit gibt es nur dann, wenn Menschen eine solche festlegen, bzw. sich danach richten. Es gibt Leute, die dauernd auf die Uhr sehen und es gibt Leute, die keine Uhr besitzen, oft nicht einmal das Datum kennen. Die haben keine Zeit – nicht die ersteren!
So kannten die Neolithiker kein Datum, keine Stunde, erst recht keine Zehntelsekunde. Zeit war noch nicht Geld, da es keines gab, und es niemanden gab, der es hätte akkumulieren wollen. Sie hofften, dass der helle Fleck in der Dunkelheit wiederkommen würde, wenn er nur noch eine Sichel war, und sie orientierten sich an ihm, an dem hellen, warmen Fleck im Hellen, und hofften auf Regen. Damals wie heute sprachen und sprechen alle vom Wetter. Und heute ist ständig die Rede von der Zeit, der Blick auf die Armbanduhr, die Uhr im Auto oder auf eine der zahllosen Uhren auf Plätzen, an Straßen, an Apotheken, u.s.w. Und, wie den Wetterbericht halbstündlich im Radio und im Fernsehen, erfährt man auch über diese Medien ständig die Uhrzeit. Das sogenannte Thema Nr. 1 ist in Wirklichkeit von den Selbstzwängen zur Uhrzeit und zum Geld in die zweite Reihe verwiesen. Fahrpläne und Terminkalender werden heute möglicherweise mehr gelesen als Literatur.
Die Zeit der Neolithischen Revolution
(griechisch neos „neu“, lithos „Stein“),
etwa zwischen 20.000 und 3.000 v. u. Z., im Orient, der Mittelmehrküste Afrikas, in Südamerika und schliesslich in Europa. Die Menschen wurden sesshaft, neben Jagen und Sammeln wurde Ackerbau und Viehzucht entwickelt, Vorräte wurden gelagert, Häuser und Dörfer entstanden, sogar Städte, es entstanden soziale Gemeinschaften. Und es war die Zeit der grossen Erfindungen: Tier- und Pflanzenzucht, Weben, Spinnen, Sticken, Töpfern, der Schirm als Schutz vor Sonne und Regen, Kochen und würzen von Speisen, Werkzeuge und Waffen, den Spiegel, Rasiermesser, Schmuck, Öl-Pressen und Öl-Lampen, den Pflug, die Uhr, das Rad und: die Schrift.
Die Menschen waren nun nicht mehr ausschliesslich mit dem Kampf ums Dasein und der Angst vor unerklärlichen Naturgewalten beschäftigt, sondern sie begannen von ihren unmittelbaren Gefühlen zu abstrahieren und zu planen und zu organisieren, sie machten bahnbrechende Erfindungen, Gefühle wurden nun auch in Kunsthandwerk und in Kunst ausgedrückt.
Es war eine Zeit demokratischer Gemeinschaften, deren Regeln sich um die Frauen herum, die Grosse-Mutter, Bona Dea orientierten.
Dann aber kam alles anders, so, wie sich die zivilisierten Gesellschaften bis heute entwickelt haben.
Wir hören den Forscher Lewis Mumford 1967, aus dem Buch „Anatomie der menschlichen Destruktivität“, von Erich Fromm, 1967, – wobei neuere Forschungen darauf hinweisen, dass derlei Gesellschaftsordnungen bereits um das sechste Jahrtausend v. u.Z. entstanden:
„Aus dem Komplex des frühen Neolithikums entstand eine neue Art der sozialen Organisation: sie war nicht mehr … `demokratisch´, das heißt sie gründete sich nicht mehr auf nachbarschaftliche Vertrautheit … allgemeines Einverständnis, sondern sie war autoritär, zentral gelenkt und unterstand der Kontrolle einer dominierenden Minderheit … Die neue Kultur diente nicht der Förderung des Lebens, sondern der Ausdehnung kollektiver Macht. Durch die Vervollkommnung neuer Zwangsmittel hatten die Herrscher dieser Gesellschaft um das dritte Jahrtausend v. Chr. eine industrielle und militärische Macht in einem Ausmass organisiert, das bis in unsere Tage nie mehr übertroffen werden sollte. Machtausübung in jeglicher Gestalt war das Wesen der Zivilisation …“ Und Mumford betont, dass die Methoden dieser neuen Stadtorganisationen „rigoros, wirksam, oft hart, ja sadistisch waren, und dass die ägyptischen Herrscher ebenso wie die Könige von Mesopotamien auf ihren Denkmälern und Tafeln damit prahlten, wie sie höchst eigenhändig ihre wichtigsten Gefangenen verstümmelt, gefoltert und getötet hätten“.
Vor der neolithischen Revolution war allein die Frau zuständig für Schwangerschaft, Geburt und Kindeserziehung.
Mit der neolithischen Revolution haben die Himmelsmysterien das Mutterleibmonopol gestürzt, indem sie dem Männlichen als „Transzendenten“ einen wesentlichen Anteil an der menschlichen „Ursprungsfunktion“ zuerkannten. Das war die Geburtsstunde des „Vaterhauses“ und des „Vaterlandes“, mit dem das Christentum über Jahrhunderte die subalterne Vaterschoss-Ideologie installierte.
Erich Fromm: Die Frau war es in den gynaikokratischen, den mutterrechtlichen Gesellschaften, die durch die Pflege der Leibesfrucht und der Kinder, früher als der Mann, ihre Sorge über die Grenzen des eigenen Ich hinweg auf andere Wesen erstreckte, und ihre Erfindungsgabe, die ihr Geist besitzt, auf die Erhaltung und Verschönerung des fremden Daseins richtete. Von Geburt über Gesittung bis zu Totenklagen reichte ihre Hingabe. So wie im väterlichen Prinzip die Beschränkung und Regulation liegt, so im mütterlich-weiblichen das der Allgemeinheit. Die guten Göttinnen sind die des Mondes, der Sonne, der Tiere und Pflanzen und die der Erde. Im Gesichtsausdruck der ägyptischen Bildwerke ist der Zug milder Humanität noch überliefert. In diesen Zeiten wurde das Weben und Spinnen erfunden. Ein Vorgang, der nicht der Natur nachgeahmt war, sondern weiblicher Phantasie entsprang: die nach eine Richtung gehende, unendliche Drehbewegung, wie die Rotation der Weltkörper. Ebenfalls wurden Ösen, Nadel, Faden und Haken, Spangen und Knopf erfunden.
Es gelang dann durch die Erfindungen der Werkzeuge, technischer Fertigkeiten bei der Kultivierung des Landes, der Entwässerung von Sümpfen und der Produktion von Gebrauchsgegenständen ein hohes Mass an Überschüssen und Sicherung der Existenz zu erzielen. Es bilden sich Arbeitsteilung und Klassen von Handwerkern, Bauern, Priestern, Beamten – die Akte Bürokratie wird angelegt, – und Könige, als Repräsentanten der männlichen Götter. Die Verstädterung des Landes begann. Nicht mehr die Fruchtbarkeit des Bodens war die Quelle des Lebens, sondern jetzt war es der funktionalistische Verstand, technische Erfindungen, abstraktes und rationalistisch-prakmatisches Denken und Handeln.
Im babylonischen Schöpfungshymnus „Enuma Elis“ kommt diese Wandlung von der weiblichen, „biophilen“ (Erich Fromm) Gesellschaft zum Ausdruck. Der Mythos berichtet von der siegreichen Rebellion der männlichen Götter gegen Tiamat, der „Grossen Mutter“, die das Universum regierte. Die männlichen Götter wählen Marduk zum Führer.
Nach einem erbitterten Krieg wird Tiamat geschlagen, aus ihrem Körper werden Himmel und Erde geformt, und Marduk herrscht von nun an als oberster Gott. Aber bevor er zum Obergott gewählt wird, muss er noch eine Prüfung bestehen, die den Schlüssel der damaligen Veränderung bietet:
Dann legten sie ein Gewand in ihre Mitte;
zu Marduk, ihrem Erstgeborenen, sagten sie:
Wahrlich, o Herr, dein Schicksal ist über das der anderen Götter erhaben,
Befiehl zu zerstören und neu zu entstehen (und)
so wird es geschehen!
Durch das Wort deines Mundes lass das Gewand
zerstört werden; befiehl aufs neue, und lass das
Gewand wieder ganz werden!
Er befahl mit seinem Munde, und das Gewand wurde zerstört.
Und wieder befahl er, und das Gewand ward wieder heil.
Als die Götter, seine Väter, die Kraft seines Wortes erkannten,
da frohlockten sie (und) huldigten ihm (und sagten) Marduk ist König!
Die Bedeutung der Prüfung liegt darin, dass der Mann seine Unfähigkeit zu natürlichen Schöpfertum, was der Frau und der Erde vorbehalten ist, durch das Schöpfertum des Wortes, des Geistes überwindet. Die biblische Geschichte beginnt dort, wo der babylonische Mythos endet: der männliche Grossgott Jahwe, ein ehemaliger babylonischer Blitz-, Donner- und Feuergötze, erschafft die Welt durch das Wort.
vor 2,5 Mio. Jahren
Hadar/Äthiopien
Homo habilis, der geschickte Mensch
benutzt selbsthergestellte Werkzeuge
Erster Hinweis auf Benutzung von Feuer vor 400 000 Jahren
Erster archaischer Homo sapiens, vernunftbegabter Mensch
vor 100 000 Jahren in Ost- und Südafrika
Früheste Spuren des Homo sapiens vor 40 000 Jahren
Combe Capelle/Frankreich
Homo sapiens taucht erstmals in Europa auf vor 37 000 Jahren
Vogelherd-Höhle/Deutschland
Älteste Funde einer entwickelten Kunst/Höhle
vor 35 000 Jahren in Frankreich und Spanien
Domestizierung des Wolfes
vor 14 000 Jahren in Nordamerika (Meadoweroft/Pennsylvania) –
Erste Siedlungsspuren
In den Geisteswissenschaften wurden für diese Phasen der menschlichen Entwicklungen von etwa 20.000 bis heute, neben den biologischen Betrachtungen, individuell-soziale Begriffe eingeführt:
- Homo ludens – der „spielende Mensch
- Homo oeconomicus – der „wirtschaftende Mensch“
- Homo oecologicus, der ökologisch denkende Mensch
- Homo culturalis, das Kulturwesen
- Homo sociologicus – der „soziale Mensch“
- Homo ridens – der „lachende Mensch“
- Homo faber – der „schaffende Mensch“
- Homo superior – der „Übermensch, Idealmensch“
- Zoon politikon – das „gesellige Lebewesen“
Antike
Wir befinden uns nun um 1.200 v. u. Z. bis 600 n. u. Z., es ist die Zeit der so genannten Antike:
Der griechische Dichter Homer schuf zwischen 800 und 700 v. u. Z. die Werke Ilias, die den Kampf um Troja, etwa 3.000 v. u. Z., besingt, dann die Odyssee, sie schildert die Abenteuer des Königs Odysseus von Ithaka und seiner Gefährten auf der Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg, und die Homerischen Hymnen, Lieder auf die griechischen Götter. Seine Werke zählen zu den ältesten und grössten Dichtungen der Menschheit.
Und der Dichter Hesiod schrieb epische Lehrgedichte für die Bauern, „Werke und Tage“, die „Theogonie“, d. h. Geburt der Götter, dann das Schild des Herakles in 460 Versen.
In Israel traten zwischen dem 8. und 5. Jahrhundert die Propheten mit geistigen Schöpfungen und religiösen Weissagungen auf. Das Alte Testament wurde geschrieben, der Pentateuch, griechisch: „Fünfgefäß“, hebräisch Chumasch – von chamesch „fünf“, ist ein griechischer Ausdruck für die fünf Bücher Moses, der erste Hauptteil der Bibel, die Tora, der für Judentum und Christentum auf verschiedene Weise das grundlegende Offenbarungszeugnis des Gottes Jahwe oder Jehovah ist. Der Pentateuch wurde etwa 440 v. Chr. geschrieben, und aus dem Althebräischen in die Griechische (Septuaginta) und Aramäische Sprache (Targum) übersetzt.
Im Iran verkündete Zarathustra, auch Zoroaster zwischen 1.800 und 600 v. u. Z., die Forschung ist uneins, das erste monotheistische religiöse Weltbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, die bis heute aktuelle Religion des Zoroastrismus, mit dem Gegensatz von Wahrheit, Gerechtigkeit und guter Ordnung auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Lüge, Ungerechtigkeit, das Böse und das Chaos.
In China lehrten im 6. und 5. Jahrhundert um hundert philosophische Schulen oder Weisheitsschulen, darunter die berühmten Weisen Konfuzius und Laotse.
Der Geist Indiens wurde zwischen dem 8./7. und 2. Jahrhundert durch die Upanishaden („das Sich-in-der-Nähe-Niedersetzen“, „sich zu Füßen eines Lehrers, Guru, setzen“, und geheime, belehrende Sitzung) geprägt, eine Sammlung philosophischer Schriften des Hinduismus. Und im 5. und 3. Jahrhundert v. u. Z. lehrte Buddha.
Die minoische Kultur
Etwa 7./6.000 vuZ entstanden erste Siedlungen auf Kreta, die erste europäische Zivilisation, die Minoische Kultur, genannt nach dem mythischen König Minos, der Sohn des Zeus war.
Kreta lag im Schnittpunkt der Seeverbindungen zwischen Ägypten, Kleinasien und dem heutigen Griechenland. So entwickelte sich zu Beginn des 2. Jahrtausends eine orientalisch orientierte vorgriechische Kultur, u. a. mit der Stadt und den Palästen von Knossos, deren Einwohnerzahl auf 50.000 geschätzt wird. Die wesentlichen Gottheiten waren weiblich, weswegen auf eine matriarchale Ordnung geschlossen wird. Mit Vorderasien, Ägypten, den Inseln der Ägäis und Zypern wurde Handel getrieben.
Zwischen 1.450 und 1.200 v. u. Z. zerfiel die minoische Hochkultur und wurde durch die mykenische Kultur abgelöst.
Die so genannte „Seevölkern“ oder „Fremdvölker“ richteten eine Welle von Zerstörungen im gesamten östlichen Mittelmeerraum an: Ägypten, das Hethiterreich in Kleinasien, Zypern und eine Reihe von Zentren im syrisch-palästinensischen Raum gerieten in die Hände von Feinden, bzw. wurden zerstört. Die mykenischen Staaten verloren dadurch wichtige Handelspartner, was zu einer Metallverknappung und Krisen führte und vermutlich die Palastwirtschaft zusammenbrechen ließ. Die meisten bisher bekannten Zentren der mykenischen Kultur auf dem griechischen Festland wurden teils durch Erdbeben, teils durch kriegerische Einwirkungen oder Revolten zerstört.
Möglicherweise begann gegen Ende der Spätmykenischen Zeit (ca. 1050 v. Chr.) die dorische Wanderung. Der neue Volksstamm der Dorer gewann in einem längeren Prozess die Vorherrschaft in der Peloponnes. Gleichzeitig rückten die sogenannten indogermanischen Griechen in die Landschaften Epirus, Akarnanien und Ätolien ein. Die Äoler waren künftig vorwiegend auf Thessalien und Böotien, die Ionier auf Attika und Euböa beschränkt. In den Zusammenhang der dorischen Wanderung gehört vermutlich auch die Zerstörung Trojas, dessen legendenhafte Beschreibung (Homer) zu einem zentralen Element der späteren griechischen Kultur wurde.
An der Kolonisation der kleinasiatischen Westküste, heute Türkei, beteiligten sich alle griechischen Stämme. Sie gründeten die bedeutenden griechischen Städte: Milet, Ephesos, Smyrna, die z. T. ältere anatolische Vorläufer hatten.
„Dunkles Zeitalter“
Die Zeiten zwischen 1.200 vuZ. und ca. 750 vuZ. sind mangels Schriftquellen oder archäologischer Funde wenig bis gar nicht erforscht und werden auch als „Dunkle Jahrhunderte“ bezeichnet. Es ist die Zeit zwischen dem Ende der mykenischen Kultur und dem Aufschwung in der archaischen Zeit etwa ab 750 vuZ.
Antikes Griechenland
Die griechische Kultur der Antike war damals prägend für weite Teile des vorderen Orients und ganz Europa, und das noch bis heute. Sie gegliedert sich in drei Hauptabschnitte:
Archaische Zeit (ca. 750 bis 450)
ist geprägt durch das entstehen griechischer Stadtstaaten (Polis/Stadt) im Schwarzmeer und in weiten Teilen des Mittelmeerraumes.
In der archaischen Zeit kam es zur Kolonisation des Mittelmeerraums. Gründe waren neben Überbevölkerung und Sicherung von Handelswegen auch innere Kämpfe in Griechenland. Im 7. und 6. Jahrhundert v. u. Z. erlebte die Regierungsform der Tyrannis eine Blüte. Um 550 v. u. Z. gründete Sparta den Peloponnesischen Bund und zementierte damit seinen Herrschaftsanspruch.
Der Ionische Aufstand (ca. 500 bis 494 v. u. Z.) führte dann zum Konflikt Griechenlands mit dem persischen Grosskönig Dareios I., der zeitlich den Beginn der griechischen Klassik markiert. Athen siegte zunächst bei Marathon 490 v. u. Z. und nutzte die Zeit für eine massive Aufrüstung. Zehn Jahre später kam es zu einem erneuten Feldzug unter Führung von Dareios Sohn Xerxes I.. Nach der Abwehrschlacht an den Thermopylen kam es bei Salamis zur Entscheid. Die Griechen vernichteten die zahlenmässig überlegene persische Flotte (480 v. u. Z.), ein Jahr später auch das persische Landheer in der Schlacht von Plataiai. Athen gründete 478/477 v. u. Z. den Attischen Seebund. Auf den Grundlagen der Reformen der Gesetze durch Solon und des Kleisthenes von Athen sowie der Seeherrschaft Athens in der Ägäis entstand Mitte des 5. Jahrhunderts v. u. Z. die entwickelte Attische Demokratie mit Perikles, um 490 vuZ bis 429.
In dieser Zeit entstanden:
- Hesiods Dichtungen „Lob der Landarbeit“,
- um 776 vuZ Beginn der olympischen Spiele,
- Gesetzgebungen des Lykurg im dorischen Sparta,
- die Idee des Staates mit gleichberechtigten Bürgern wurde geboren,
- erbliches Königstum, Bürgervertreter, nur Reiche können Bürger werden, Heloten sind rechtlose Staatssklaven,
- die militärische Taktik der Phalanx (Walze) wird gegen die Einzelkämpfer eingesetzt und Sparta führt den Kriegsdienst ein,
- Dichtungen durch Äichilos, Sappho, Solon von Athen, Anakreon,
- Die Sieben Weisen treten auf,
- Adlige erheben sich zu Tyrannen und packtieren mit orientalischen Fürsten, z. B. Polykrates von Samos (Schiller: „Der Ring des Polykrates“) zum Pharao Amasis von Ägypten,
- adlige Opponenten streben einen Rechtsstaat freier Bürger an, und machen den Tyrannenmord zur sittlichen Pflicht, der belohnt wird,
- Griechische Mysterienreligion entsteht, um ein Leben nach dem Tode im Elyseum zu erreichen. Der Apollokult im Orakel zu Delphi entsteht (Apollon war in der griechischen und römischen Mythologie der Gott des Lichts, des Frühlings, der sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung und der Künste, insbesondere der Musik, der Dichtkunst und des Gesanges. Er gehörte zu den zwölf Hauptgöttern des Olymps), – siehe S. 26
- Dichtungsgattungen Tragödie und Komödie entstehen,
Und: Der erste Naturphilosoph Thales von Milet, einer der Sieben Weisen, sagt eine Sonnenfinsternis voraus (28. Mai 585 vuZ).
Da Thales auch Astronom und Geometer war, sagte er Überschwemmungen des Nils voraus und reiche oder schlechte Ernten.
Aristoteles schrieb in seiner „Politeia“ über Thales von Milet, u. a. die Anekdote:
„Man hielt ihm seine Armut vor, vermutlich um zu beweisen, dass man mit der Philosophie nicht sehr weit komme. Thales wusste aus seiner Kenntnis der Sternenwelt, obwohl es noch Winter war, dass im kommenden Jahr eine reiche Olivenernte zu erwarten sei; da er ein wenig Geld besass, mietete er alle Olivenpressen in Chios und Milet; er bekam sie preiswert, da niemand ihn überbot. Als plötzlich zur Erntezeit alle Pressen gleichzeitig benötigt wurden, lieh er sie zu jedem in seinem Belieben stehenden Betrag aus und verdiente eine Menge Geld daran. So bewies er der Welt, dass auch Philosophen leicht reich werden können, wenn sie nur wollen, dass das aber nicht ihr Ehrgeiz ist.“
Die Philosophie beginnt
In Griechenland nun begann nach Homers Dichtungen das philosophische Denken im wesentlichen mit den Naturphilosophen Thales, Anaximander und Anaximenes, dann Heraklit und mit Sokrates, Platon und Aristoteles.
Anders als in Indien und China und im Orient entstand in Griechenland die Idee der Freiheit, und vorrübergehend wurde diese Idee in politische Freiheit der Bürger umgesetzt. Damit war das abendländische freie Denken und das Freiheitsbewusstsein im sozialen Leben geboren.
Diese Doppelung von geistiger Freiheit und von Freiheit im Zusammenleben ab dem 6. Jahrhundert v. u. Z. bildet den Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit.
Der so genannte Vater der europäischen Geschichtsschreibung, Herodot, machte diesen Gegensatz zwischen Abendland und Morgenland bewusst. Der deutsche Philosoph des 20. Jahrhunderts, Karl Jaspers, nannte diese Zeit die „Achsenzeit“, die Wende vom Leben der neolithischen Menschen hin zur Suche des Sinn des Lebens.
Nach fast 3.000 Jahre Ägyptische und Babylonische Kultur, nun 1.000 Jahre die Wende-Epoche Altertum, bis etwa 500 n. u. Z., mit der Geschichte der Griechen, Juden, Perser und Römer, in der sich das Abendland als Grundlage von philosophischen, politischen, künstlerischen und technischen Fortschritt den modernen Menschen schafft, – vom Mythos zum Geist, zur Idee, zur Wissenschaft.
Vom Mythos zum Geist
Die Vorsokratiker
600 bis 400 v. u. Z.
Die Sieben Weisen
Die Sieben Weisen waren wahrscheinlich eine Gruppe von bis zu 22 griechischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Sie lebten zwischen dem 7. und 6. Jahrhundert v. u. Z.
Der Geschichtsschreiber Plutarch fragt in „Das Gastmahl der sieben Weisen“ nach dem besten Staat, und die Sieben Weisen antworten mit Gnomen, das sind kurze Sinnsprüche, die eine allgemeine Bemerkung, Erfahrung, eine Regel oder einen Grundsatz enthalten. Gnomen finden sich in gebundener und ungebundener Rede in vielen Literaturen, so bei den Hebräern, Indern, Persern, Arabern, Skandinaviern usw. In Griechenland blühte insbesondere im 6. Jahrhundert v. Chr. eine reiche gnomische/Sprüche Poesie, auch zuvor bei Homer und Hesiod.
Die Sieben Weisen antworten also, was der beste Staat sei:
Solon von Athen, Dichter, Philosoph und Politiker: „Der, in dem ein Verbrecher genau so von allen, denen er nichts getan hat, wie von dem einen, dem er etwas getan hat, angeklagt und bestraft wird.“
Bias von Priene, Tyrann seiner Heimatstadt: „In dem alle das Gesetz wie einen Tyrannen fürchten.“
Thales, Kaufmann, Mathematiker und Naturphilosoph: „Der weder allzu Reiche noch allzu Arme hat.“
Anacharsis: „In dem man alles andere gleich achtet, aber nach der Tugend den Vorzug und nach der Schlechtigkeit den Nachteil bemisst.“
Kleobulos von Lindos, Tyrann von Rhodos: „Wo die Bürger einen Tadel mehr fürchten als das Gesetz.“
Pittakos von Mytilene, Tyrann von Lesbos: „Wo es nicht möglich ist, dass die Schlechten herrschen, und es nicht möglich ist, dass die Guten nicht herrschen.“
Chilon von Sparta, Mitglied des obersten Kontrollorgans, des Ephorats: „Der am meisten auf Gesetze, am wenigsten auf Redner hört.“
„Alles meinige trage ich mit mir.“ Mit diesem Sinnspruch trat der erste der griechischen Sieben-Weisen, Bias aus Priene, unter die Menschen.
Es ging also um das Ich, ein Ich, welches eine gewisse Ungebundenheit von innerer Unruhe und äusseren Zwängen suchte, allerdings: ein privates Ich, welches nicht auf das Draussen schaut.
Die Vorsokratiker, 600 bis 400 v. u. Z., ist die so genannte
Ionische Antike
Das aufklärerische geistige Klima in dieser Zeit liess zunehmend Zweifel am mythologischen Weltbild des Götter-Olymps aufkommen. Das reflektierende Denken begann das Weltbild der Mythologie zu überwinden. Dasjenige Denken also, welches keine Sinnsprüche mehr macht, sondern sowohl hinter die Dinge und in deren Tiefe blickt, als auch sich selbst, das Denken infrage stellt, immer neue Fragen sucht.
Konsequent beschäftigten sich die ersten Philosophen mit der sie unmittelbar umgebenden Natur: Wasser, Luft, Erde, Feuer, – und: mit dem lebendigen Naturensemble, den Pflanzen und Tieren sowie mit dem Naturwesen Mensch.
Die Auseinendersetzung mit dem Menschen als Individuum – „Was ist der Mensch?“, fragt Thales – und als soziales Wesen, sowie diejenige mit Flora und Fauna und eben mit Wasser, Luft, Erde, Feuer, ist über die Jahrtausende geblieben, und ist heute aktueller denn je.
Nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, und nun den Armuts- und Hungerkatastrophen in der globalisierten Welt, den Gewaltorgien und den Zerstörungen der Umwelt, sind Fragen hinsichtlich des Wesens des Menschen zentral für das Leben und Überleben des gesamten Naturensembles.
Thales von Milet (639 bis 545)
Was die Naturelemente Wasser, Luft, Erde, Feuer betrifft, so suchte der griechische Naturphilosoph Thales von Milet, 639-545 v.u.Z., Naturphilosoph, Staatsmann, Mathematiker, Astronom und Ingenieur, nach einem anderen Sinn, Urstoff und Wesen der Welt, einem ursprüngliches Prinzip (gr. arché), einen „Urstoff“, da die religiösen Geschichten keine befriedigenden Antworten gaben. Thales liess das private Ich von Bias beiseite und setzte ein Äusseres, das Wasser als Ursprung und Wesen der Welt.
Allerdings hatte schon Homer geschrieben, dass Okeanos der Ursprung und Anfang sämtlicher Dinge sei. Möglicherweise hat Homer sich hier von den Göttern verabschiedet und Okeanos als Element, eben Wasser, gemeint.
Jedenfalls wurde mit Thales das Prinzip der Dinge als Materielles und gleichzeitig als Gedanke gesetzt, nicht mehr als mystisches.
Aristoteles, 384 bis 322 vuZ, schreibt, worauf wir später zurückkommen:
„Denn woraus alles Seiende ist und woraus es als dem Ersten entsteht und worin als in das Letzte es zugrunde geht, das als die Substanz immer dasselbe bleibt und nur in seinen Bestimmungen sich ändert, dies sei das Element und dies das Prinzip alles Seienden. Deswegen halten sie dafür, dass kein Ding werde noch vergehe, weil dieselbe Natur sich immer erhält“, Aristoteles, „Metaphysik“.
Aristoteles versteht hier Wasser als metaphysische Ursubstanz/Erste, ähnlich, wie später der niederländische Philosoph Spinoza (1632 bis 1677) „Gott“, und der deutsche Philosoph Leibniz (1646 bis 1716) „Monade“ (metaphysische Hypothese von unendlich vielen einfachen Substanzen, Monaden, die in der Materie mal schlummernd, mal wirkend vorhanden sind, und die Einheit jedes Ding und Individuum bewirken).
Unvermutet sind wir ins kalte Wasser der philosophischen Disziplin Metaphysik gefallen. Was ist Metaphysik?
Drei Grundbereiche der Philosophie: Logik, Ethik und Physik, bzw. Metaphysik, werden von der frühen Philosophie gesetzt.
Bevor wir uns damit genauer beschäftigen, hören wir weiter Thales, der auf die Frage, was das Schwerste im Leben sei, das oberflächliche Ich von Bias philosophisch und bereits psychologisch vertiefte und antwortete: „Sich selbst erkennen“.
Dieses „Erkenne Dich selbst“, griechisch „Gnothi Seautón“, stand über dem Tempel des Apoll zu Delphi. Das Orakel von Delphi, von etwa 800 vuZ bis knapp 400 nuZ, war eine berühmte griechische Pilger– und Weissagungsstätte des antiken Griechenlands und befand sich am Hang des Parnass bei der Stadt Delphi. Es war die wichtigste Kultstätte der hellenistischen Welt. Sie galt lange Zeit sogar als Mittelpunkt der Welt.
Der Kult in Delphi hiess bis zum 5. Jahrhundert v.u.Z. Pytho, war dem Apollon geweiht, wobei ursprünglich allerdings die Erdgöttin Gaia verehrt worden war. Der genaue Zeitpunkt der Übernahme des Heiligtums durch Apollon ist nicht mehr feststellbar, doch bereits bei Homer wird von einem Apollonkult in Delphi gesprochen. Funde zeigen einen Aufstieg des Heiligtums ab dem 8. Jahrhundert vuZ.
Auf kultische Verehrung der Gaia, die Erdgöttin, ist es zurückzuführen, dass Apollon nicht durch einen Priester, sondern durch die Pythia sprach. Diese sass über einer Erdspalte. Der Überlieferung nach stiegen aus dieser Erdspalte Dämpfe, die die Pythia in einen Trancezustand versetzten.
Da das Orakel von Delphi bereits in der Antike sagenumwoben war, werden einige seiner Weissagungen in der Geschichtswissenschaft als Legenden beurteilt.
Ödipus
Der Legende nach prophezeite das Orakel von Delphi dem König von Theben, Laios, dass sein Sohn ihn dereinst töten und seine Frau heiraten werde. Darauf ließ er dem Neugeborenen die Füße durchstechen, zusammenbinden und ihn von einem Hirten im Gebirge aussetzen. Der Hirte übergab das verstoßene Kind dem Königspaar von Korinth, welches es adoptierte und nach seinen geschwollenen Füßen Ödipous nannte. So wuchs Ödipus in Korinth auf, ohne von seiner Herkunft zu wissen. Als ihm ein Orakel verkündete, dass er seinen Vater töten werde, verließ er aus Sorge um seinen vermeintlichen Vater Korinth und machte sich auf den Weg nach Theben.
Unterwegs begegnete er an einer Wegekreuzung dem mit kleinem Gefolge reisenden Laios; dieser hielt Ödipus für einen Räuber und wollte ihn nicht durchlassen, woraufhin Ödipus ihn und die meisten seiner Gefolgsleute erschlug. Somit erfüllte sich eine der zwei Prophezeiungen. Anschließend gelang es Ödipus, das Rätsel der Sphinx zu lösen und so Theben von der Sphinx zu befreien. Zur Belohnung wurde er als Nachfolger des Laios zum König von Theben ernannt und bekam Iokaste, seine Mutter, zur Frau. Somit erfüllte sich die zweite Prophezeiung.
Von ihrer Verwandtschaft nicht wissend, hatten die beiden in der Folgezeit vier Kinder miteinander. Als nach einigen glücklichen Jahren in Theben eine Seuche ausbrach, verkündete das Orakel von Delphi, der Mörder des Laios müsse gefunden werden. Ödipus untersuchte den Fall und fand heraus, dass er selbst der gesuchte Mörder war und seine eigene Mutter geheiratet hatte. Darauf erhängte sich Iokaste und Ödipus blendete sich.
Zahlreiche antike Zeugnisse, z. B. Sophokles, Oidipus Tyrannos.
Gyges
Der lydische König Gyges von Sardes ließ sich vom Orakel von Delphi seine Herrschaft bestätigen, nachdem er um 685 v. Chr. seinen Vorgänger Kandaules ermordet hatte. Dafür bedankte sich Gyges mit großzügigen Goldgeschenken für das Orakel. Doch laut Herodot soll ihm die Pythia auch gesagt haben, dass Kandaules in der fünften Generation nach ihm, Gyges, gerächt werde. So geschah es tatsächlich, denn der fünfte König nach Gyges in seiner so genannten Mermnaden-Dynastie, Krösus mit Namen, war der zugleich letzte: denn Krösus verspielte seine Herrschaft mit seinem gescheiterten Perserfeldzug
Außerdem soll sich der sehr reiche Gyges für den glücklichsten Menschen der Welt gehalten haben. Dies konnte ihm das Orakel von Delphi auf Nachfrage jedoch nicht bestätigen, sondern antwortete, dass Agelaos, ein unbekannter und armer Dorfbewohner in Psophis, viel glücklicher sei.
Krösus
Krösus, der sprichwörtlich reiche letzte König von Lydien, wollte die Zuverlässigkeit von sieben Orakeln prüfen (neben Delphi z. B. das Orakel von Dodona oder von Siwa). Boten sollten am hundertsten Tag nach ihrer Abreise jedes der Orakel befragen, was Krösus gerade tue. Wie Herodot berichtet, gab nur die Pythia die richtige Antwort, und das auch noch wie zumeist in einem wohlgesetzten Vers im Hexameter, hier in entsprechender Übersetzung:
Duft von Schildkröte ward mir bewusst, dem gepanzerten Tiere,/Die in ehernem Kessel gekocht wird, und Stücke von Lammfleisch,/Erz ist darunter gelegt, und Erz wird ruh’n auf dem Kessel.
Tatsächlich hatte Krösus, um etwas schwer Vorhersehbares zu tun, an diesem Tag ein Lamm und eine Schildkröte in einem abgedeckten metallenen Gefäss gekocht.
Übel hereingefallen ist Krösus dann allerdings mit dem Orakel, das er ersuchte, bevor er 546 vuZ. gegen den Perserkönig Kyros II. aufbrach, und das als griechischer Hexameter lautete: Wenn Krösus den Halys (heute: Kizilirmak) überschreitet, wird er ein großes Reich zerstören. Krösus bezog diese Weissagung auf das Perserreich, es war aber sein eigenes.
Themistokles
Die Athener erhielten 480 v. Chr. vom Delphischen Orakel die Weisung, ihre Stadt zu verlassen und mit hölzernen Mauern zu verteidigen. Themistokles deutete dies richtig auf Schiffe und konnte so die Perser in der Seeschlacht von Salamis besiegen.
Chairephon / Sokrates
Berühmt ist auch die Antwort, die der Athener Chairephon auf die Frage erhielt, ob es einen weiseren Menschen als Sokrates gebe. Das delphische Orakel entschied, dass kein Mensch weiser als Sokrates sei. Dieser erklärte diese Antwort damit, dass er sich stets bewusst sei, dass er nichts wisse, und genau dies sei die Voraussetzung für die Erlangung von Weisheit. Viele nennen deshalb Sokrates neben den Sieben Weisen den achten Weisen von Delphi.
Alexander der Große
Alexander der Große soll 335 v. Chr. in Delphi im Hinblick auf seinen geplanten Perserfeldzug um Rat gebeten haben, doch Pythia vertröstete ihn: Das Orakel finde nur zu den von den Göttern bestimmten Zeiten statt. Wütend und unwillig zu warten soll er Pythia mit Gewalt an den Haaren in den Tempel gezerrt haben. Daraufhin soll sie lediglich gerufen haben: „Lass ab von mir, du bist doch unüberwindlich, Junge!“. Darauf soll Alexander gesagt haben „Jetzt habe ich meine Antwort!“ und Pythia losgelassen haben.
Metaphysik und Grundfragen der Philosophie
In der Geschichte der Philosophie zeigte sich, dass das, was in der Welt erkannt wird, von dem, der es erkennt, zwangsläufig abhängt, und zwar insofern, als der Erkennende das Erkannte notwendig konstruiert, worauf der Philosoph Immanuel Kant 2.300 Jahre später hinweist.
Die Wirklichkeit wird nicht so erkannt, wie sie an sich ist, sondern derart, wie sie für mich als solche erscheint, wie ich sie sehen will. Zwischen subjektivem Bewusstsein und objektiver Wirklichkeit existiert ein Raum, in dem seit 2.500 Jahren gebaut wird. Und ebenfalls sind Bewusstsein und Wirklichkeit selber Räume, in denen gebaut wird. Wie wir weiter sehen werden von Philosophen der Antike, dann Philosophen der grossen Religionen im Mittelalter, schliesslich Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts, darunter Hegel, der als letzter Philosoph des Idealismus sieben Stufen der Entwicklung des Bewusstseins vorstellt, von der unmittelbaren Wahrnehmung auf dem Boden des Raums, bis zum Absoluten Geist an der Decke desselben, und dann Philosophen des Dialektischen Materialismus, welche die Wirklichkeit als Produzent des Bewusstseins definieren.
– Philosophie ist die Suche nach Antworten auf die Grundfragen:
Wer bin ich? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist die Welt? Warum existiert überhaupt Etwas und nicht Nichts? Was ist die Wirklichkeit des Wirklichen, was ist das Sein des Seienden?
Damit sind wir wieder bei der Metaphysik.
Metaphysik heisst, hinter die Physik, also hinter das Wirkliche, das Sein blicken und nach dem Wesen, den Prinzipien, dem Ursprung des Seins fragen.
Aristoteles will mit der Metaphysik das Wesen der Wissenschaft darstellen, die Ontologie und Philosophische Theologie.
Ontologie / Seinslehre
ist ein griechischer Begriff, der aus Sein und Lehre/Wort besteht, also die Seinslehre ist, die Lehre vom Seienden, also die oben genannten Fragen hinsichtlich dessen, was der Mensch ist, was die Welt ist, hat sie Anfang und Ende, wer ist Gott, gibt es ihn.
Und Ontologie behandelt so genannte Entitäten – griech. das Wesen, das Seiende, ein Sammelbegriff in der Philosophie für Phänomene, also Erscheinungen, mit den Sinnen wahrnehmbare Ereignisse, die Sinnliche Wahrnehmung – mit der Eigenschaften, Gegenstände, Prozesse wahrgenommen werden:
Form/Materie, Wesen, Sein, Substanz, Gott, Wirklichkeit, Geist, Seele, Natur, Nichts, Wahrheit, Freiheit, Unsterblichkeit, Möglichkeit, Werden, Veränderung usw. sind Begriffe der Kategorienlehre.
Die Behandlung der Relation zwischen dem Individuellen und dem Allgemeinen, das so genannte Universalienproblem.
Das Verhältniss zwischen der Wirklichkeit als solcher und der Wirklichkeit, wie sie der Menschen mit seinen Sinnen und seinem Erkenntnisvermögen wahrnimmt.
Das Verhältniss von Sein und Sollen als Seins- und Wertaussagen.
Also auf der einen Seite das, was den Sinnen erscheint, auf der anderen Seite das, was in Begriffen gedacht wird.
Lehre von der Substanz
Desweiteren geht es in der Metaphysik des Aristoteles um die Möglichkeit, nämlich von Veränderungen des unveränderlichen Grund des Seins, die Substanz, und den Zufälligkeiten (Akzidentien) der Substanz, also die Begriffe:
Möglichkeit und Wirklichkeit (Potenz und Akt), sowie Wahrheit, Gott (Gottesbeweis) und Theologie.
Grundlage der Substanztheorie ist die Lehre des Hylemorphismus (Stoff und Form), die besagt, dass Dinge aus zwei Komponenten zusammengesetzt sind:
▪ Stoff bzw. Materie (hylê) und
▪ Form (morphê oder eidos).
Alle körperlichen Dinge sind durch Stoff (lat. materia/gr. hyle) und Form (lat. forma/gr. morphe) bestimmt. Erst durch das Hinzutreten einer Form zum Stoff existieren Körper.
Eine Bildsäule ist zusammengesetzt aus der Gestalt (einer dargestellten Götterfigur) und dem vom Bildhauer bearbeiteten Material (Erz). Die Form gibt der Materie eine Bestimmung (Göttergestalt), und beide zusammen ergeben die Bildsäule als Gegenstand, Skulptur/Bildsäule eben.
Schliesslich ist Aristoteles der Begründer der Logik, in der er Themen wie Begriff, Aussage, Definition, Beweis und Fehlschluss behandelt.
Bevor wir zu den weiteren Philosophen der Antike kommen, sollen an dieser Stelle weitere wichtige Themen der Philosophie genannt werden, die im Laufe der folgenden 2.500 Jahre unterschiedlich interpretiert wurden:
Kern-Disziplinen der Philosophie sind:
- Logik (als die Wissenschaft vom folgerichtigen Denken)
- Erkenntniskritik (grundsätzlichen Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen sowie Wahrheit der menschlichen Erkenntnis werden behandelt)
- Ethik (als die Wissenschaft vom rechten Handeln)
- Metaphysik (als die Wissenschaft von den ersten Gründen des Seins und der Wirklichkeit, mit Ontologie/Seinslehre, Substanz)
- weitere Grunddisziplinen sind die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, die sich mit den Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns im Allgemeinen bzw. speziell mit den Erkenntnisweisen der unterschiedlichen Einzelwissenschaften beschäftigen
und des weiteren
- Dialektik („Kunst der Unterredung“, Lehre von den Gegensätzen im Wesen der Dinge bzw. der Begriffe, sowie die Auffindung und Überwindung dieser Gegensätze in Dialektische Aufhebung)
- Ästhetik
Und dann die Anwendungen der Philosophie auf Wissenschaften als Theoretische Philosophie
- Erkenntnisphilosophie
- Wissenschaftslehre
- Philosophie der Mathematik
- Sprachphilosophie
Und dann als Praktische Philosophie
- Rechtsphilosophie
- Politische Philosophie
- Geschichtsphilosophie
- Kulturphilosophie
- Religionsphilosophie
- Sozialphilosophie
- Philosophie der Technik
Wie oben gesagt, sollen, nach Thales, noch andere Philosophen der vorsokratischen Zeit erwähnt werden, die das philosophische Denken als Selbstzweck und nicht aus religiösen Gründen betrieben, also der Anfang aller Wissenschaft.
Nun zu Anximander:
Anaximander (610 bis 547 v.u.Z.), lebte in Samos
Er entwarf die erste Kosmologie mit unzähligen Welten nacheinander und nebeneinander. Er dachte die Erde zwar noch als Scheibe, bzw. als flachen Zylinder, aber er dachte sie bereits als frei im Raum schwebend, in einem Universum, welches eine Hohlkugel sei.
Als Urstoff nahm er das Unbegrenzte, Unendliche, das „Apeiron“, an, keinen sichtbaren Stoff, wie Wasser, sondern einen unsichtbaren, nicht fühlbaren Stoff als Urstoff: das Unendliche, als selbstbewegende Materie, ein „in Möglichkeit Seiendes“, wie Aristoteles im 12. Buch seiner „Metaphysik“ schreibt.
Von Anaximander ist der erste philosophische Satz überhaupt überliefert, der berühmte „Spruch des Anaximander“:
„Woher die Dinge ihre Entstehung haben, dahin müssen sie auch Entgehen, zu Grunde gehen, nach dem Notwendigen; denn sie zahlen einander Busse, Sühne, Strafe für ihre Ungerechtigkeiten und Ruchlosigkeiten, gemäss der (Ver-)Ordnung der Zeit.“
Gedeutet werden kann dieser Satz, dass es Brauch ist Opfer zu bringen, und dass diese unweigerlich erfolgen.
Durchaus ist man erinnert an die nachfolgende 2.500 Jahre kriegerische und leidvolle Zeiten der Menschheit, gipfelnd in die Atom- und Umweltkatastrophen des 20. Jahrhunderts.
Anaximenes (585-525 v.u.Z.) lebte in Milet, Naturphilosoph und Astronom, Schüler von Anaximander
Er setzt wieder ein Naturelement, die Luft, als Urstoff (Arché). Er gibt einen Übergang von der Naturphilosophie in die Philosophie des Bewusstseins, in dem er die Luft als belebenden Atem, als Seele setzt, die den Ur-Stoff bearbeitet.
Luft und Geist werden bei Anaximenes identisch als Stoffbelebungslehre, Hylozoismus (griech. hyle: Stoff, Materie, zoe: Leben). Der Hylozoismus wird im 16. Jahrhundert von dem italienischen Dichter und Philosophen Giordano Bruno und im 18. Jahrhundert von dem französischen Schriftsteller Denis Diderot vertreten.
Derart stellt er sich den Kosmos vor als ein Weltganzes, das sich sowohl verändert, als auch in seiner Substanz ewig besteht. Vom Mond vermutete er bereits Damals, dass dieser nicht selbst leuchtet, sondern von der Sonne angestrahlt wird.
Die Eleaten
Sind eine Gruppe von Philosophen aus der westitalienischen Küstenstadt Elea.
Xenophanes, 570 bis 470 vuZ
Bildet einen Übergang von den Naturphilosophen zu den Eleaten. Er bestimmt Gott als ewig und hält Wissen nur für Vermutung und Wahrheit nicht für erkennbar.
Parmenides, 515 bis 445 vuZ
War der Hauptvertreter der Eleaten und war einer der bedeutendsten Vorsokratiker. Sein einziges Werk ist ein Lehrgedicht, „Über das Sein“.
Bei ihm sind Denken und Sein identisch, das Sein ist unvergänglich und Bewegung ist nur eine Illusion, denn es gibt nur das Unendliche Eine, als Starres.
Seinslehre
Zur Wahrheit führen nicht die Sinne, die uns Vielheit und Veränderung der Dinge vorspiegeln, sondern nur die Vernunft oder das Denken, welches das Sein des Seienden als notwendig, das des Nichtseins als unmöglich erkennt.
Denn die Wahrheit liegt in der Erkenntnis, dass nur das Seiende ist und das Nichtseiende nicht ist, der Schein in der trüglichen Meinung, dass auch das Nichtsein sei. Nur ein Seiendes kann gedacht werden, und kein Denken ohne das Seiende, von dem es ausgesagt ist.
Seine Abstraktion: dasselbe ist Denken und Sein.
Physik
Parmenides fühlte nun offenbar den Widerspruch zwischen diesem aus dem rein begrifflichen Denken gewonnenen Grundsatz des unteilbaren Seins und der viel gestalteten Wirklichkeit. Auf die Seinslehre seines ersten Teils folgt daher in dem zweiten ein Eingehen auf die sinnlichen Wahrnehmungen, auf die „Worte der Wahrheit“ die „Worte der Meinung“.
„Die Wahrheit ist es“, schreibt Hegel, „vor der die Meinung erbleicht“.
Das Wesen der Meinung ist das Nichtwissen, die fehlende Reflexion über und um den Gegenstand. Meinung ist anstatt Wissen, der Ersatz. Deswegen sind viele über-zeugt von ihrer Meinung und sprechen dann von „das ist meine feste Überzeugung“.
Der Stoiker Epiktet: „Nicht Tatsachen sondern Meinungen über Tatsachen bestimmen das Zusammenleben“.
Aus dem Altgriechischen bedeutet Meinung, schon bei Homer, „Vermutung, Erwartung“, bei Aristoteles bestenfalls „was wahr scheint“, und von seiner etymologischen germanischen, keltischen, aslawistischen Wurzel her „wähnen“, „Wünschen“, „Verlangen“. Und in einer weiteren altgriechischen Bedeutung wird Meinung erhoben zu „massgeblicher Meinung“, und zwar als „Brauch, Konvention, Übereinkunft, Gesetzt“, nämlich um etwa 500 v. Chr., zur Zeit der Entwicklung der griechischen Demokratie und damit erster Gesetzgebung, bekanntlich eine Demokratie die sich Sklaven hielt und diese von der Demokratie ausschloss, wie auch Frauen und Fremde, und die sich auf kolonialistische Ausbeutung stützte.
Hier gibt er denn auch bei Parmenides dem Beispiele seiner Vorgänger folgend, eine Weltbildungstheorie. Er geht dabei von zwei Urstoffen aus: Dem ätherischen, leichten Element des überall sich selbst gleichen Feuers tritt ein zweites gegenüber: die dichte, dunkle, schwere Masse, aus der die Erde entstanden ist. Jenes stellt das wirkende, dieses das leidende Prinzip dar.
Die Vermischung beider erfolgt seitens einer alles lenkenden Gottheit durch den ersten Erreger aller Dinge, den Eros (Liebestrieb).
Wie das All, so sei auch des Menschen Sinnesart aus beiden Elementen gemischt, doch so, dass das Geistige überwiege.
Monismus
heisst, dass sich alle Vorgänge und Phänomene der Welt auf ein einziges Grundprinzip zurückführen lassen. Der Monismus bezieht damit die Gegenposition zum Dualismus und Pluralismus, die zwei oder viele Grundprinzipien annehmen. In der Religion stehen monistische Lehren oft dem Pantheismus nahe, der eine Gegenwart (Immanenz) des Göttlichen in allen Erscheinungen der Welt sieht.
So waren einige Naturphilosophen der Antike Monisten, die jeweils einen Urstoff bestimmten:
▪ Thales – Wasser
▪ Anaximander – Apeiron / Unendlichkeit
▪ Anaximenes – Luft
▪ Pythagoras – Zahlen
▪ Heraklit – Feuer/Bewegung
▪ Parmenides – Das Sein
▪ Demokrit, 460 bis 370 vuZ nahm bereits an, dass die gesamte Welt nur aus unbeständigen Zusammenballungen kleinster Teile – der Atome – bestünde.
Zu Zenon
490 bis 430 vuZ.
Aristoteles nennt ihn den Erfinder der Kunst zu argumentieren
Im Pfeil-Paradoxon denkt Zenon von Elea über die Wirklichkeit von Bewegung nach.
Zenon sagt, dass ein fliegender Pfeil in jedem Moment seiner Flugbahn einen bestimmten, exakt umrissenen Ort einnimmt. An einem exakt umrissenen Ort befindet sich der Pfeil in Ruhe, denn an einem Ort kann er sich nicht bewegen. Da sich der Pfeil in jedem Moment also in Ruhe befindet, müsste er sich insgesamt in Ruhe befinden. Paradox: Wir nehmen aber an, dass der Pfeil fliegt.
Ausformuliert wurde dieses Konzept erst Jahrhunderte später von Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz (unabhängig voneinander). Zu jedem Zeitpunkt t befindet sich der Pfeil genau an einem Ort, und zum nächsten Zeitpunkt bereits an einem anderen Ort. Die Geschwindigkeit bleibt ohne Beschleunigungen oder Abbremsungen für alle Momente gleich.
Seiner Philosophie der Unbeweglichkeit setzte Heraklit die Philosophie der Bewegung entgegen.
Heraklit von Ephesos
Ca. 540 bis 475 vuZ
Heraklit gilt als Lehrer der Logik und der Dialektik.
In der sinnlichen Unruhe entdeckt er die Tiefe des Seins. Die Sinne sind Werden. Denn das Gegenteil des Sein ist nicht das Werden, sondern das Nichts. Werde-Sein ist Heraklits Feuer, als Metapher für Bewegung wie das Wasser und die Luft. Alles Starre wird hier dialektisch aufgehoben.
„Feuers Umwende: Wasser, vom Wasser aber die eine Hälfte Erde, die andere Gluthauch (Luft).“
„Wer in denselben Fluss steigt, dem fliesst anderes und wieder anderes Wasser zu.“
„Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht.“
Und:
„Das Entgegengesetzte passt zusammen, aus dem Verschiedenen ergibt sich die schönste Harmonie, und alles entsteht auf dem Wege des Streits.“
Heraklits „göttliches Feuer“ in seiner „Umwende“ zu Wasser, Erde und Luft ist nicht eine weitere naturphilosophische Urstofftheorie, sondern eine Metapher für den Logos, dessen Dynamik die Welt bewegt, wandelt und ihr Seinsprinzip ist.
„Alles fliesst, nichts besteht, noch bleibt es je dasselbe.“
„Der Logos ist das Eine, das im Wandel des Werdens Bestand hat.“
„Verbindungen: Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Missklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles.“
Die Seele:
„Ich durchforschte mich selbst … Der Seele Grenzen kannst du im Gehen nicht ausfindig machen, und ob du jegliche Straße abschrittest; so tiefen Logos hat sie.“
„Streit ist aller (Dinge) Vater, aller (Dinge) König, und hat die einen als Götter gezeigt, die andern als Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien gemacht.“
Anaxagoras, um 500-428 vuZ, Klazomenai bei Izmir in Kleinasien
Um 480 ging Anaxagoras nach Athen. Zu seinen Schülern gehörten der griechische Staatsmann Perikles, der Dramendichter Euripides und möglicherweise Sokrates.
Anaxagoras lehrte nahezu 30 Jahre in Athen, bis er wegen Gottlosigkeit angeklagt wurde, weil er behauptet hatte, die Sonne bestehe aus glühendem Gestein. Der Vollstreckung des Todesurteils konnte er sich nur durch die Flucht entziehen und ging zurück nach Kleinasien, wo er bis zu seinem Tod in Lampsakos, einer Kolonie von Milet, lebte.
Während die ionische Schule von Thales nur einen Urstoff annahm, Empedokles deren vier, und die atomistische Schule gegenüber diesen eine begrenzte Zahl von Weltbausteinen lehrt, nimmt Anaxagoras eine unbegrenzte Vielheit voneinander qualitativ verschiedener Urstoffe an, die er homöomerien (Samen) nennt. Erst der nous, die Welt-Vernunft, habe das Chaos der zahllosen winzigen Teilchen geordnet. Damit führt Anaxagoras ein abstraktes philosophisches Prinzip, nämlich den Weltgeist, den er als denkendes, vernünftiges und allmächtiges, dabei aber unpersönlich gedachtes Wesen versteht, in die Diskussion um die Herkunft der Welt ein. Dieser Weltgeist bestehe durchaus für sich, ist „mit nichts vermischt … das reinste und feinste von allen Dingen“ und habe den Anstoss dazu gegeben, dass sich aus dem ursprünglichen Chaos das schöne und zweckvoll geordnete Ganze der Welt bildete. Anaxagoras wird das Zitat zugeschrieben: „Es ist sinnlos, die Dinge losgelöst voneinander zu betrachten. Alles ist in allem. In jedem Sandkorn steckt die ganze Welt, und in jedem einzelnen Ding steckt die Geschichte der ganzen Menschheit“.
Aristoteles entwickelte Anaxagoras‘ Idee der Weltvernunft weiter, und seine Elementlehre bereitete Demokrits Atomtheorie vor.
Empedokles, ca. 494 bis 434, Akragas in Sizilien
Empedokles stammte aus einem Adelsgeschlecht und schlug es aus, König zu werden.
Empedokles war Reinigungspriester, Seher und Mystiker, Wanderprediger und Politiker, Arzt, Dichter und Wissenschaftler.
Die Legende berichtet, dass er durch einen Sturz in den Krater des Ätna umgekommen sei.
Elementlehre
Während die Milesier nur einen Grundstoff annahmen, stellt er vier Ursubstanzen auf: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Es gibt kein Entstehen und Vergehen der Elemente. Das Werden vollzieht sich als ein Mischen und Trennen von diesen.
Dem Stoff stellt Empedokles die Kraft an die Seite, da die Ursubstanzen Bewegung benötigen, und zwar durch zwei Urkräfte, durch die Liebe und den Streit, welche den ewigen Kreislauf der Elemente bewirken.
Zitate aus Empedokles, Fragmente:
Die kleinsten Teilchen weisen einerseits Poren, andererseits Ausströmungen auf. Aufgrund der unterschiedlichen Poren bzw. Ausströmungen ergeben sich Wahlverwandtschaften der Teilchen. Es gibt Teilchen welche sich anziehen und solche, welche sich abstossen.
Es sind dieselben Elemente, welche zu Haaren, Blättern, zum dichten Gefieder der Vögel und zu Schuppen auf starken Gliedern werden.
Im Weltall gibt es kein Leeres. Woher sollte also etwas hinzukommen?
Bald wächst ein einziges aus mehreren Teilen zusammen, bald werden aus dem einzigen wieder mehrere Teile. Dieser ewig dauernde Vorgang hört niemals auf. Alles kommt durch die Liebe zu einem zusammen und scheidet sich sobald wieder durch den Hass voneinander.
Entwicklungslehre
Die Entstehung des Lebens geschieht als stufenweiser Entwicklungsprozess. Es entstanden zuerst die Tiere, darauf die Pflanzen und der Mensch. Die Evolution erfolgte aufgrund des Zusammenwachsens der verschiedenen Glieder. Dies erklärt sich aufgrund der Porentheorie, nach der gewisse Teilchen sich anziehen und andere sich abstossen. Was zusammenpasst, überlebt, das andere geht zugrunde. Die verschiedenen Gattungen der Lebewesen entstanden durch den unterschiedlichen Anteil der 4 Elemente.
Es existiert eine Seelenwanderung. Die Seelen werden aus ihrer himmlischen Heimat verstossen und sind dazu verurteilt, in dem irdischen Jammertal in den vielfältigen Gestalten zur Busse ihrer Sünden umherzuirren. Empedokles selbst will bereits einmal Mädchen, Vogel, Fisch und selbst Busch gewesen sein.
Erkenntnislehre
Beachtenswert ist besonders die Erkenntnislehre des Empedokles. In ihrem Mittelpunkt steht der Gedanke, dass wir immer Gleiches durch Gleiches erkennen.
Es gibt vier Grundfarben: weiss, schwarz, rot und gelb.
Er begründete damit die bis zum 18. Jahrhundert in der Naturphilosophie herrschende Lehre von den vier Elementen Wasser, Feuer, Erde und Luft, aus denen alle Dinge zusammengesetzt seien.
Pythagoras, 580 bis 500 vuZ, Samos
und seine Schule der Pythagoräer
Während der Tyrannis des Polykrates emigrierte Pythagoras nach Kroton in Süditalien. Hier entstand die Stätte seiner weitreichenden Wirksamkeit. Schnell bildete sich eine große Gemeinde von Anhängern, die von ihm und seiner Lehre fasziniert war.
Von seinen Anhängern verlangte er mehrjähriges Schweigen, tägliche Selbstprüfung („Worin hab´ ich gefehlt, was getan, welcher Pflicht mich entzogen?“), einfache Wollkleidung, Enthaltung vom beseelten Geschöpf etc. Die Mitglieder seines Bundes waren teils Bewunderer, die Akusmatiker (gr., akuein = hören), und teils Erkenntnissuchende, die Mathematiker (gr., manthanein = einsehen, lernen). Für ihn bedeutete Freundschaft Gleichheit. Die Meditation zielte bei Pythagoras nicht allein auf ethische Vervollkommung, sondern diente zugleich dem mentalen Training des Erinnerungsvermögens.
Cicero berichtet in seinen Gesprächen in Tusculum, dass Pythagoras vom Fürsten von Phleius gefragt worden sei, „wer denn die Philosophen seien und was sie von den andern Menschen unterscheide. Pythagoras habe geantwortet, das Leben der Menschen scheine ihm gleich zu sein wie jener Markt, der im ganzen Glanz der Spiele und in der Anwesenheit ganz Griechenlands abgehalten zu werden pflege. Denn wie dort die einen mit trainierten Körpern den Ruhm und die Ehre eines Kranzes erstrebten, andere mit Aussicht auf Gewinn und Profit durch Kauf und Verkauf angelockt würden und es endlich eine besondere Gruppe gebe, die die vornehmste sei und weder nach Beifall noch nach Gewinn strebe, sondern um des Schauens willen gekommen sei und aufmerksam betrachte, was geschehe und wie, ebenso seien auch wir gleichsam aus einer Stadt in irgendeinen belebten Markt gekommen, nämlich in dieses Leben aus einem andern Leben und einer andern Natur, und die einen dienten nun dem Ruhme, die andern dem Geld. Es gebe aber einige seltene, die alles andere verachteten und die Natur der Dinge aufmerksam betrachteten. Diese nennten sich Liebhaber der Weisheit, eben Philosophen. Und wie jenes das vornehmste sei, zuzuschauen ohne für sich etwas zu erstreben, so rage auch im Leben die Betrachtung und Erkenntnis der Dinge weit über alle anderen Beschäftigungen hinaus.“ (Gespräche in Tusculum, liber quintus, cap. 8,9)
Bei Pythagoras ist die Philosophie Teil eines religiösen und moralischen Ganzen: Sie dient dem menschlichen Heil. Der Kosmos wird als lebendiges, göttliches und ewiges Wesen aufgefasst. Der Mensch besitzt etwas Unsterbliches, die Seele. Sofern sie aber in den vergänglichen Leib eingesperrt ist, bleibt der Mensch gespalten. Um sich mit dem Kosmos zu vereinigen und sich im Kreislauf der Seelenwanderung nicht immer wieder mit neuen Körpern verbinden zu müssen, muss der Mensch seine Seele reinigen. Besonderen Wert legte Pythagoras daher auf rituelle Reinigung und Sühne.
Aus dieser Seelenlehre ergibt sich die Ethik des Pythagoras. Da das eigentliche Ziel der Seele die Heimkehr zum Göttlichen ist, soll sich der Mensch nicht in das Irdische verstricken. Nur dann wird Harmonie herrschen, wenn die sinnlichen Leidenschaften beherrscht werden.
Und die Pythagoräer waren in der Astronomie ihrer Zeit voraus. Sie haben bereits gelehrt, dass die Erde und die anderen Gestirne leuchtende Kugeln seien, die in zahlenmäßig bestimmten Abständen ihren kreisförmigen Reigen um das heilige Zentralfeuer, die »Burg des Zeus«, den »Herd des Alls«, aufführten. Ja, spätere Pythagoreer, wie die Syrakusaner Hiketas und Ekphantos (im 4. Jahrhundert vuZ), haben schon die Drehung der Erde um ihre eigene Achse gelehrt.
Die Zahlenlehre
Die Wissenschaft ist ein Mittel, um den Menschen von der Sinnlichkeit zu befreien und zur göttlichen Ordnung zu führen. Darum zeigt sich der Urgrund der Welt nicht im Materiellen, sondern im Formalen, in den Zahlen.
Die Zahlenlehre stellt den entschiedenen Versuch dar, die Wirklichkeit umfassend zu strukturieren und in ein Klassifikationssystem zu bringen.
Die grundlegenden Prinzipien sind das Begrenzte und das Unbegrenzte. Sie repräsentieren das Gute und das Böse. Danach kommen das Ungleiche und das Gleiche, und aus ihnen folgt die unteilbare Einheit, die Zahl 1, die außerhalb der Zahlenreihe steht. Der 1 entspringt die Vielfalt der Zahlen, und ihnen wiederum die Welt.
Nach Pythagoras bietet die Untersuchung der Zahlen den Schlüssel zur Philosophie. Alles ist Zahl, und alles kann mit Hilfe der Zahl verstanden werden. So fanden die Pythagoreer heraus, dass Saitenlänge und Tonhöhe der Lyra sich proportional zueinander verhalten. Die siebensaitige Lyra ist so gestimmt, dass die beiden äußeren und die beiden mittleren Saiten zusammen die Intervalle Oktave, Quinte und Quarte ergeben. Diese Intervalle lassen sich in den Zahlenverhältnissen 1:2, 3:2, 4:3 ausdrücken. Zahlen, mathematische Verhältnisse, sind die Natur der Dinge.
Pythagoras soll Anregungen, welche er bei seinen Reisen im Orient und vor allem in Ägypten empfangen habe, aufgenommen und nicht nur den nach ihm benannten Satz erfunden und die Geometrie vervollkommnet haben, sondern überhaupt der Begründer der strengen Mathematik als einer deduktiven Wissenschaft gewesen sein. In Babylon hatte die Rechentechnik ein beachtliches Niveau erreicht und waren die Erkenntnisse des Pythagoras in Mesopotamien schon seit 1500 vuZ. in Anwendung, auch wenn diese nie explizit formuliert wurden.
In den ältesten Zeugnissen, die bis an Pythagoras´ Lebenszeit heranreichen, zeichnet sich ein Zusammenhang zwischen der betrachtenden Erforschung der Welt (theoria) und dem besonders eifrigen Bemühen um Weisheit (philosophia) ab. Das Wort theoria wurde zunächst für die Gesandten einer Stadt verwendet, die an einer auswärtigen religiösen Feier teilnahmen oder zu einem Orakel pilgerten. So heißt es bei Herodot, der athenische Staatsmann und Weise Solon sei nach dem Erlass seiner Gesetze für zehn Jahre „um der theoria willen“ verreist, „um zu schauen und zu lernen“. Umherreisen und dabei viele Dinge mit einer gesunden Neugier sehen wollen: Dies gilt offensichtlich als Vorbedingung für das Erlangen von sophia. Theoria und sophia, sind jedenfalls auf das Engste miteinander verknüpft.
Bis um 330 vuZ , also etwa bis 170 Jahre nach dem Tod von Pythagoras setzten seine Anhänger seine Lehre fort.
Atomisten
Demokrit, ca. 460 bis 371 vuZ, Abdera in Thrakien
Mit den Systemen seiner Vorgänger war Demokrit bekannt: er erwähnt Pythagoras, Parmenides, Zeno, Anaxagoras und seinen Landsmann Protagoras. Dagegen suchte er keine Verbindung mit der attischen Philosophie seiner Zeit. Auffallend ist, dass Plato niemals Demokrits Namen nennt, obwohl er ihn an einigen Stellen im Auge gehabt zu haben scheint. Aristoteles dagegen erwähnt ihn nicht weniger als 78 mal und, obwohl Gegner, doch stets mit Achtung. Sein Stil wird von Cicero dem platonischen gleichgestellt. Seine schriftstellerische Tätigkeit war außerordentlich fruchtbar. Die 60 Schriften die das Altertum ihm zuschrieb, umspannten den ganzen Kreis des damaligen Wissens: Mathematik, Naturwissenschaft, Ethik, Ästhetik, Grammatik und Technik. Durch Sokrates und Plato wurde die Philosophie auf andere Probleme hingelenkt. Das mag dazu beigetragen haben, dass Demokrit, der in erster Linie doch Naturphilosoph blieb, später in Vergessenheit geriet, erst nach zwei Jahrtausenden wieder aktuell wurde.
Der bekannteste und hervorstechendste Teil von Demokrits Philosophie ist der physikalische, seine Lehre von den Atomen, die von ihm, wenn nicht begründet, so doch zuerst voll ausgebildet, das Fundament der modernen Physik geworden ist.
Mit den Eleaten hält Demokrit an einem ewigen, in allem Wechsel beharrenden Seienden fest. Diese Welt des Seienden besteht aber aus unendlich vielen Substanzen. Das All ist in zahllose kleinste, mit den Sinnen nicht mehr wahrnehmbare, Körperchen geteilt, die, weil nicht mehr weiter teilbar, von ihm Atome genannt werden. Ihnen legt er die Eigenschaften des anaximandrischen das Unendliche, der ungeformte Urstoff, und des eleatischen Paradox des Seienden bei: ungeworden, unvergänglich, dazu körperlich. Ohne sinnliche Qualität, sind sie verschieden nur an Gestalt, Lage und Größe, ihre Unterschiede also rein geometrische; der der Größe übrigens nur ein idealer, da sie ja nicht wahrnehmbar und offenbar nur erdacht sind, um die Mannigfaltigkeit des Seienden erklären zu können. Sie Formen oder Gestalten. Damit nun ihre Bewegung ermöglicht werde, nimmt Demokrit neben dem „Vollen“ ein „Leeres“, also einen leeren Raum an. Die Bewegung der Atome durch diesen leeren Raum ist eine ewige; ob sie nach Demokrit durch die Schwere bewirkt und ursprünglich, wie Epikur will, senkrecht war, ist zweifelhaft. Durch das An- und Abprallen der Atome entstehen Seiten-, Kreis- und Wirbelbewegungen, wobei sich die leichteren nach außen, die größeren und schwereren im Inneren zusammenschließen. So ist der Anfang der Weltenbildung gegeben. Wir gehören nur einer dieser zahllosen Welten an. Aus den zur Mitte sich niedersinkenden schwereren Atomen entstand in ihr unsere Erde, aus den emporsteigenden leichteren Himmel, Luft und Feuer. Die aus diesen sich ausscheidenden dichteren Massen wurden durch schnelle Bewegung glühend und zu Gestirnen.
Wie weit Demokrit seine atomistische „Hypothese“ – so bezeichnet sie schon Aristoteles – auch für die Biologie fruchtbar gemacht hat, lässt sich aus der spärlichen Überlieferung nicht mit Sicherheit erkennen. Dass er es getan, ergibt sich u. a. aus der Erklärung des Pflanzenwachstums, die Aristoteles von ihm berichtet, und vor allem aus seiner psychologischen Theorie. Jedenfalls ist die von ihm begründete quantitative Naturauffassung von grundlegender Bedeutung für die gesamte moderne Naturwissenschaft geworden. Aus der Atomistik erklären wir heute die Gesetze des Schalles, des Lichtes, der Wärme, die chemischen und physikalischen Veränderungen.
Der Atomismus stellt zugleich eine streng mechanische Weltanschauung dar. Aus der Welt der Atome ist jeder Zufall und jede etwa hinter ihr stehende, nach bewussten Zwecken handelnde Gottheit ausgeschlossen. „Die Menschen haben sich ein Trugbild vom Zufall ersonnen, zur Beschönigung für ihre eigene Unvernunft,“ sagt Demokrit, und: „Nichts geschieht zufällig, sondern alles aus einem Grunde und unter dem Zwang der Notwendigkeit“. Er verspottete deshalb auch Anaxagoras‘ teleologische Lehre vom Verstand.
Wohl zu unterscheiden von der erkenntniskritischen Frage: In welcher Erkenntnisart ist die Wahrheit zu finden?, ist die psychologische: Wie hängen Geist und Körper zusammen oder voneinander ab? Auch die Seele versteht Demokrit als atomistisch, Materialistisch.
In ausgedehnterem Masse als die Naturphilosophen vor ihm hat sich Demokrit mit ethischen Fragen beschäftigt. Wenn auch die Ethik sich bei ihm von der theoretischen Philosophie noch nicht losgelöst hat, geht doch durch sie ein gleichmäßiger Zug, der ebensowenig wie seine Erkenntnislehre rein sensualistischen, also Erkenntnis rein durch die Sinne oder materialistischen Charakter trägt. Demokrit geht zwar von Lust und Unlust als dem nächstgegebenen Regulator aus, aber als Endziel gilt ihm nicht die sinnliche Lust sondern die Wohlgemutheit, die Wohlbestelltheit, die Unerschütterlichkeit.
Neben der psychophysischen Grundlage tritt ebenso scharf und deutlich, wie in seiner Naturphilosophie, ein rationaler Zug hervor. Er bleibt nicht bei der Unbestimmbarkeit der Triebe stehen, sondern erhebt sich zu dem Gedanken eines gemeinsamen Guten und Wahren für alle Menschen, das ausdrücklich vom Angenehmen unterschieden wird. Die Lust soll sich nicht auf Sterbliches richten, die sinnlichen Triebe sich beugen unter die Herrschaft von Norm und Gesetz, wie das sturmbewegte Meer zur Windstille besänftigt wird. Das Sittliche liegt in der Gesinnung, sein Kriterium ist die Einsicht.
Zitate
Glückseligkeit und Elend liegen in der Seele.
Gut ist nicht das Nicht-Unrechttun, sondern das nicht einmal Unrecht-Wollen.
Auch, wenn du allein bist, sage und tue nichts Niedriges; lerne vielmehr dich weit mehr als vor den anderen vor dir selbst zu schämen.
Wer Unrecht tut, ist unseliger als wer Unrecht leidet.
Den herrenlosen Schmerz der im Krampf erstarrten Seele banne durch Vernunft.
Dem Weisen steht jedes Land offen, denn die Heimat einer edlen Seele ist die ganze Welt.
Hochsinnig ist es, die Fehler anderer mit Sanftmut zu ertragen.
Alles, was an philosophischen Gedanken in dem gesamten bisher behandelten Zeitraum entstand, ist überwiegend in der Betrachtung der Natur gewonnen worden.
Im 5. Jahrhundert aber erfolgte eine deutliche Wendung des philosophischen Interesses, von der Natur hin zum Menschen. Wir kommen damit zur zweiten Periode der griechischen Philosophie: der vorzugsweise anthropologischen.
Sophismus und Beginn der Griechischen Klassik ca. 490 bis 300 vuZ.
Die Griechische Klassik ist geprägt durch Auseinandersetzungen mit den Persern und spätern Kämpfen um die Vorherrschaft zwischen den beiden stärksten Mächten Griechenlands, Athen und Sparta.
Der Peloponnesische Krieg zwischen Sparta und Athen um die Vorherrschaft in Griechenland endete nach wechselvollem Verlauf mit der Niederlage Athens 404 v. u. Z.. Sparta konnte aber seine Hegemonie in Griechenland nicht aufrechterhalten und unterlag 371 v. u. Z. in der Schlacht von Leuktra vernichtend; es folgte die kurze Zeit der Hegemonie Thebens 371 bis 362 v. u. Z. Philipp II. von Makedonien machte sein Land zur führenden Militärmacht in Griechenland. Er wurde 336 ermordet, und sein Sohn Alexander übernahm den Thron, der später als der Grosse bezeichnet wurde.
Abgesehen von Demokrit waren die bisherigen Philosophen im wesentlichen Naturphilosophen, Hauptgegenstand ihres Denkens der Kosmos ; erst Anfänge von Erkenntnistheorie, Psychologie und Ethik hatten wir bei ihnen bemerken können. Der Beruf der Sophisten, Kenntnisse im allgemeinen zu verbreiten, insbesondere aber ihre Schüler „zum Handeln und Reden, zur Leitung des Haus wie des Gemeinwesens geschickt“ zu machen, veränderte diese Sachlage durchaus.
Sie grübelten nicht mehr in abgezogener Betrachtung den ewigen Rätseln des Seins und Werdens, des Entstehens und des Untergangs der Welten nach, sie unterwarfen nicht mehr den Kosmos, sei es allgemein-philosophischer, sei es mathematisch- naturwissenschaftlicher Erforschung.
Ihr Studium war vielmehr der Mensch mit seinem Wahrnehmen und Denken, seinem Wollen und Begehren, seiner privaten und öffentlichen Betätigung. Die Beschäftigung mit sprachlichen, logischen, erkenntnistheoretischen, ethischen Problemen verdrängt fast alles andere.
Die mathematisch- naturwissenschaftliche Forschung dagegen beginnt sich um dieselbe Zeit, zunächst der Sache, später auch den Personen nach, von der gemeinsamen Mutter Philosophie abzulösen. Die mathematische Einzelforschung der jüngeren Pythagoreer, die astronomische des Hiketas u. a., vor allem die medizinische des berühmten Hippokrates gehört hierher.
Noch ein weiteres Moment kommt hinzu. In den großen metaphysischen Systemen, die wir in rascher Folge hintereinander emporsprießen sahen, hatte sich die schöpferische Kraft des griechischen Philosophierens glänzend bewährt, aber gewissermaßen auch erschöpft. Dabei war in Heraklit und den Eleaten ein schier unlösbarer Widerstreit der Anschauungen zutage getreten, der manchen zum Zweifel an der Möglichkeit begrifflichen Erkennens überhaupt führen mochte und auch durch die Vermittlungsversuche der Empedokles und Anaxagoras nicht endgültig beseitigt werden konnte. Die Zuverlässigkeit der Sinnenerkenntnis insbesondere war durch die ganz verschiedenartige Stellungnahme gerade der hervorragendsten Denker: eines Parmenides, Heraklit, Empedokles, Demokrit gründlich erschüttert worden. „In unergründlicher Tiefe ruht die Wahrheit“, schrieb Demokrit, und das, was bisher am festesten schien, hatte Zenon durch seine scharfsinnigen Beweise als leeren Schein erklärt.
Die bisherigen Philosophen waren von der Annahme eines Allgemeingültigen ausgegangen. Selbst Heraklits ewiger Fluss der Dinge hatte doch das Bestehen einer Weltvernunft vorausgesetzt. Jetzt erhebt sich – das ist die grundlegende Bedeutung der Sophisten in der Geschichte der Philosophie – zum ersten mal die Frage: Giebt es überhaupt allgemeingültige Wahrheiten?
Und zwar dehnten sie die Frage von dem theoretischen auch auf das ethische Gebiet aus.
Infolge der reißend schnellen Entwicklung, die das politische und soziale, geistige und materielle Leben Griechenlands, in erster Linie natürlich wieder Athens, im fünften Jahrhundert genommen hatte, war eine Umwandlung aller sittlichen Anschauungen, eine Abwendung von den althergebrachten Sitten und religiösen Gebräuchen, ein Schwanken von Recht und Gesetz eingetreten, das nur noch des 27 jährigen Bruderkrieges zwischen dem attischen und dem peloponnesischen Bunde bedurfte, um zu einer Zerrüttung aller Verhältnisse zu führen.
Dieser Lage der Dinge geben die Sophisten auf philosophischem Gebiete Ausdruck. Sie führen den Grundsatz der Subjektivität, der freien Willkür des souveränen Individuums in die Philosophie ein, auf dem Felde des Erkennens wie des Wollens.
Die Anerkennung de Individuellens war geboren.
Die rechte Fruchtbarkeit wurde zwar erst durch Sokrates‘ Begründung der Begriffsphilosophie gegeben werden, so kommt doch den Sophisten das Verdienst zu, diesen neuen Gedanken einer neuen Zeit zuerst vertreten zu haben.
Mit dem Auftreten der Sophisten trat der Mensch in den Mittelpunkt philosophischer Betrachtung. Sie beschäftigten sich besonders mit ethischen und politischen Problemen, etwa mit der Frage, ob Normen und Werte naturgegeben oder von Menschen festgelegt sind.
Protagoras aus Abdera in Thrakien, 490 bis 411 vuZ
zählt zu den bedeutendsten Sophisten. Er verbrachte den Grossteil seines Lebens in Athen.
Er lehrte, dass der Mensch zwar von Natur aus dazu strebe, eine Religion auszuüben und einer staatlichen Gemeinschaft anzugehören. Dem Menschen sei jedoch selbst überlassen, wie Religion und Staat gestaltet werden. Für Protagoras gab es keine allgemein gültige und verbindliche, sondern nur eine subjektive Wahrheit.
Er prägte den berühmten Satz: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der Seienden, dass sie sind, und der Nichtseienden, dass sie nicht sind.“
Außerdem beschäftigte er sich mit dem Sein der Menschen: „Das Sein der Menschen ist subjektiv und wandelbar.“
In Athen fand Protagoras in gebildeten Kreisen viele begeisterte Anhänger und wurde u. a. von Perikles und Euripides hoch geschätzt. „Wir bewunderten ihn wie einen Gott wegen seiner Weisheit“, lässt Platoseinen Sokrates von ihm sagen.
411 wurde er wegen Gottlosigkeit angeklagt und verurteilt, ertrank er, auf der Flucht nach Sizilien; seine Schriften wurden auf dem Markte zu Athen auf Staatsbeschluss verbrannt. Sie erstreckten sich vorzugsweise auf Ethik nebst den verwandten Fächern der Rechtswissenschaft, Politik und Pädagogik, wie die zahlreich erhaltenen Schriftentitel beweisen.
Der berühmte Fundamentalsatz des Protagoras lautet, wie schon erwähnt: „Der Mensch ist das Mass aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nicht seienden, dass sie nicht sind.«
Und zwar bedeutet hierbei der Mensch nicht etwa den Menschen überhaupt, das einzelne Individuum mit seinen wechselnden Vorstellungen und Empfindungen. Jede Vorstellung besitzt relative Wahrheit, nämlich für den Wahrnehmenden unter den Bedingungen seines jedesmaligen Wahrnehmens. Es gibt keine allgemeingültigen Wahrheiten; dem Kranken z.B. erscheinen gewisse Dinge anders als dem Gesunden usw.
Wie für Heraklit, so ist auch für Protagoras alles in beständigem Werden begriffen. Man kann von dem nämlichen Dinge zwei einander entgegengesetzte und dennoch gleich berechtigte Ansichten haben. Es ist vollendeter Relativismus und, insofern er sich auf die sinnliche Wahrnehmung als einzige Erkenntnisquelle stützt Sensualismus, Erkenntnis ist nur auf Sinneswahrnehmung zurück zu führen.
Dieser Relativismus dient aber unserem Sophisten im wesentlichen nur dazu, um die Menschen von den seines Erachtens unfruchtbaren theoretischen Spekulationen auf die praktischen Aufgaben des Lebens hinzulenken, für die er seinen guten Rat anbietet, um sie kluge Voraussicht, Erwägung der Folgen und damit Beherrschung der Naturkräfte wie der menschlichen, insbesondere der politischen Verhältnisse zu lehren.
Sitte und Recht erscheinen ihm als die unentbehrlichen Stützen des Staates und der Gesellschaft, wie er selbst denn auch 443 im Auftrage des Perikles Gesetze für die neugegründete athenische Kolonie Thurioi entwarf.
Bezüglich der Götter bekannte er, „nicht zu wissen, ob sie existieren oder nicht“; vieles verhindere ein sicheres Wissen über sie, die Dunkelheit der Sache und die Kürze des menschlichen Lebens.
Auf die Schränken und die Subjektivität des menschlichen Denkens mit Nachdruck hingewiesen zu haben, ist das Verdienst dieses ersten Sophisten. An einem Massstab objektiven Erkennens hat es ihm anscheinend gänzlich gefehlt. So griff er denn auch die exakteste aller Wissenschaften, die Mathematik, an, weil sein auf das Handgreifliche gerichteter Sensualismus die reinen Linien, Kurven usw. in der „Wirklichkeit“ vermisste. Damit war jede allgemeingültige Erkenntnis aufgehoben. Noch weiter in dieser Anzweiflung aller Wissenschaft ging sein Nachfolger:
Gorgias, Sizilien, ca. 480 bis 380
In der Physik und Naturphilosophie schloss sich Gorgias seinem Landsmann Empedokles. Seinen eigentlichen Beruf aber fand er im Lehren und Ausüben der Redekunst, sodass er gegenüber dem philosophischeren Protagoras in erster Linie als Rhetoriker zu charakterisieren ist. In seiner Hauptschrift, „Von der Natur oder dem Nicht-Seienden“ trug er folgende drei berühmten Sätze vor:
- Es existiert nichts.
- Wenn aber auch etwas existierte, so wäre es doch für den Menschen unfassbar.
- Wenn es aber auch fassbar wäre, so wäre es doch unaussprechbar und unmittelbar.
Wenn Protagoras jede Meinung für wahr erklärt hatte, so erklärte Gorgias jede für falsch. Ein so vollendeter Skeptizismus ist, um mit Kant zu reden, kein „heilsamer Zuchtmeister des Verstandes“ mehr, sondern „gar keine ernstliche Meinung“, und macht aller Wissenschaft ein Ende. Man hat deshalb Gorgias wohl auch als wissenschaftlichen „Nihilisten“ bezeichnet.
Griechischen Klassik
Die drei grossen Athener Philosophen
Sokrates, Platon, Aristoteles
450 bis 300 vuZ.
Sokrates, Athen, ca. 469 bis 399
ist als Sohn eines Bildhauers und einer Hebamme in Athen geboren. Zunächst war er selbst Bildhauer, las die Schriften der alten Weisen und hörte Vortrage der Sophisten; nahm an mehreren Feldzügen der Athener teil, wurde 399, wegen „Einführung neuer Götter und Verführung der Jugend“ verurteilt, den Giftbecher zu trinken.
Über den persönlichen Charakter des athenischen Weisen hinsichtlich seiner Sittenreinheit, Bedürfnislosigkeit, Freimütigkeit, Menschenfreundlichkeit, Religiosität, Liebenswürdigkeit und heitere Ruhe des Gemüts stimmen alle Berichte ebenso überein, wie über seine natürliche Schlagfertigkeit, seinen Witz und seinen Humor. Nicht minder über gewisse unhellenische Züge seines Wesens: seine Gleichgültigkeit gegen die äußere Erscheinung – seine eigene Gestalt entsprach so wenig dem griechischen Schönheitsideal, dass sie selbst seinen Verehrern nicht gefiel.
Sokrates selber hat nichts geschrieben. Die wesentlichen Auskünfte über Sokrates und seine Lehre geben Plato in den „Dialogen“ und Aristoteles.
Als den Inbegriff seiner Weisheit erklärte seine Einsicht, dass er nichts wisse, während andere sich einbildeten, etwas zu wissen. Das Wesentliche für ihn und zugleich das Neue in der Geschichte der Philosophie ist also, dass er nicht zu irgendwelchem Wissensinhalt drängt, sondern sich und andere zur Selbstbesinnung treibt, zur Prüfung alles vermeintlichen Wissens auf sein Begründetsein. Er will nicht, gleich den Sophisten, seinen Schülern fertige Schablonen einhämmern, sondern sie selbst die Wahrheit finden lassen. Noch stärker als die Sophisten wendet er sich von der Naturphilosophie, ja sogar von der Naturbetrachtung ab. Die Gegenden und die Bäume, sagte er, können mich nichts lehren, aber die Menschen. Seine Forschung gilt dem Menschen. Worin aber besteht das Wesen des Menschen, das `Ding´? Nur eins erscheint ihm als wahrhaft: das Wissen, die Selbsterkennung. „Wer bin ich“?, fragte er. Daher sein Lieblingsspruch das Delphische: „Erkenne dich selbst!“
Indem nun Sokrates untersucht, „was ein jedes Ding sei“, findet er das Ziel und die Grundlage aller wissenschaftlichen Arbeit in dem Begriff des Dinges, dem „Was ist?“ des Dinges, in der Definition des Dinges.
Sokrates hat noch nicht die Logik wissenschaftlich begründet und in ein System gebracht – das tut erst Aristoteles -, aber er handhabt sie mit einer Art natürlicher Genialität. Und wie gewinnt er den sicheren Begriff einer Sache? Auf dem Wege des induktiven Verfahrens, also des Hinführens vom Einzelnen zum Allgemeinen.
„Vom Gangbarsten und Zweifellosesten ging Sokrates in seinen Untersuchungen jedesmal aus, indem er dies als den sichersten Weg erachtete“, so berichtet sein Schüler Xenophon.
Und Aristoteles bezeichnet als die „zwei Dinge, die man dem Sokrates mit Recht zusprechen, darf: »die induktiven Reden und die Feststellung allgemeiner Begriffe“. In dieser Aufsuchung der Begriffe hat er eine ihm eigentümliche, die sogenannte sokratische Methode ausgebildet.
Sokrates war weder ein Bücherschreiber noch ein einsamer Grübler noch ein dozierender Professor. Er geht auf den Markt und die Strassen. Es war ihm Bedürfnis, die Wahrheit im Zwiegespräch mit anderen zu finden. Wo sich ihm nur die geringste Aussicht auf Erfolg bietet, knüpft er an. Dabei ging er von dem, was dem Betreffenden am nächsten lag, seiner Arbeit oder Beschäftigung, aus und bat ihn um Aufschluss über Wesen und Zweck seiner Tätigkeit. Dann aber zeigte er dem also Befragten durch geschickte Kreuz- und Querfragen, dass er im Grunde nicht wisse, was er zu wissen vorgegeben habe, und deshalb noch weniger wisse als er (Sokrates selbst), der doch wenigstens von sich gewusst habe, dass er das, wonach er gefragt, in der Tat nicht wisse. Das ist die sogenannte Ironie des Sokrates.
Wer sich aber durch die beschämende Einsicht in die eigene Unwissenheit nicht von der weiteren Unterhaltung abschrecken liess, den führte er in ernsthafte Gespräche, indem er die in dem Anderen noch schlummernden Gedanken aus ihm herauszulocken suchte, Schritt für Schritt weiter, durch Vergleichung der Tatsachen, bis zum festen Ausdruck des Gesuchten im Begriff. Das nannte er, unter Anspielung auf den Beruf seiner Mutter, seine Maieutik, die Entbindungskunst. Die Wahrheit soll aus der eigenen Seele des anderen heraus geboren werden.
So ist Sokrates‘ Philosophieren ein Bestimmen der Begriffe.
Das wahre Wissen beruht auf dem sicheren Begriff, und dieser bewährt sich in der allseitigen Prüfung des induktiven, „hinführenden“ Verfahrens. Ihr Inhalt, die Dinge interessieren ihn zunächst noch gar nicht, sondern die Problemstellung. Seine Philosophie besteht – das ist das Bedeutsame gegenüber der gesamten Vorsokratik – in seiner Methode. Das Denken hat sich ihm und in ihm als kritisches Denken, als Kritik entdeckt.
Das Anwendungsfeld aber dieser methodischen Begriffsbestimmung ist vor allem die Ethik; seine Untersuchung ist auf die „Tugend“ gerichtet.
Worin besteht das Wesen und damit der Zweck irgendeines Dinges, z.B. dieses Tisches? In seiner Tüchtigkeit zu etwas, seiner „Güte“. So besteht auch das Wesen und damit der Zweck des Menschen in seiner Tüchtigkeit oder Tugend. Was aber hat man unter dieser Tugend, die alle, namentlich auch die Sophisten im Munde führen, zu verstehen? Ist sie erlernbar? So fragt Sokrates und macht damit zum erstenmal die Tugend, sodann die Ethik zum Problem.
Gerade das Problemstellen ist auch hier wieder seine wichtigste Leistung, nicht etwa die positive Antwort. Worin das Gute seinem Inhalte nach bestehe, scheint Sokrates vielmehr garnicht bestimmt formuliert zu haben. Er betont nur, dass die Tugend ein Wissen sei, dass sie auf der richtigen Einsicht oder Besinnung beruhe. Wird doch auf allen Gebieten des Lebens derjenige als tüchtig anerkannt, der seine Sache versteht; wieviel mehr auf dem des sittlichen Handelns! Wer aus unklaren Gefühlen oder aus überlieferter Gewohnheit handelt, wird immer nur zufällig das Rechte treffen. Also auf das feste Bewusstsein, auf die Erkenntnis allein kommt es an.
Diese Überzeugung steigert sich dann zu dem merkwürdigen Satze: Niemand handelt mit Absicht schlecht. Denn sonst würde er ja gegen die eigene Erkenntnis vom Rechten handeln, die, wie die Wahrheit selbst, nur eine sein kann. Handelt er aber wirklich unrecht, so hat er eben die rechte Einsicht nur scheinbar besessen; mindestens ist sie unvollständig oder unklar gewesen, wenn sie sich von der Unkenntnis, die in den Trieben liegt, hat überwinden lassen, anstatt ihrerseits dieselben zu überwinden. Wenn und während die Erkenntnis herrscht, kann nicht zugleich auch etwas anderes wie Lust, Zorn, Schmerz, Furcht, Begierde über den Menschen herrschen.
Neben diesem Rationalen zeigt die sokratische Ethik aber auch eine eudämonistische Seite, Eudämonie ist Glückseligkeit, seelisches Wohbefinden, deren Erlangung also das Ziel seiner Ethik ist. Das Gute erscheint als das Gesunde, Heilsame, Förderliche. Seine Religiosität zeigt sich in seiner Überzeugung, dass die zweckmäßige Einrichtung des Weltalls auf eine weise, alles lenkende Gottheit hinweist. Ihr vertraut er überall da, wo menschliches Verstehen nicht mehr ausreicht. Auch unsere Seele ist ein Teil des Göttlichen, das die Welt geordnet hat. Ja, er fühlt die Gottheit auch in der eigenen Brust als innere Stimme zu ihm reden, insbesondere ihn warnen. Denn so ist wahrscheinlich das geheimnisvolle Daimonion zu verstehen, von dem er zuweilen redet.
Das Daimonion ist ein persönlicher Schutzgeist, der Teil des Ichs ist. Das Daimonion wurde von Sokrates als eine innere Stimme von göttlichem Ursprung erklärt. Diese innere Stimme warnte ihn in entscheidenden Augenblicken und hielt ihn von der Ausführung einer gefährlichen Absicht ab. Er verstand es als eine Gegeninstanz zum Logos, die das erkennt, was der Vernunft verborgen bleibt, und vom Falschen abrät. Da er es auch über die Götter stellte, wurde ihm vorgeworfen, es als einen neuen Gott einführen zu wollen.
Ähnlich war seine Stellung zu der bestehenden Staatsordnung. Er forderte und übte den unbedingten Gehorsam gegen die Staatsgesetze und appelliert doch an die Richter und Gesetze im Hades, im Totenreich, d.h. an das ewige, ungeschriebene Sittengesetz.
Jedenfalls sind ihm die Götter in erster Linie Vertreter des sittlichen Gedankens. Hatte er vorher seinen Anklägern zugerufen: „Ich glaube an Götter ebensogut wie ihr, ja noch mehr“, so offenbart sich hier der sittliche Grund, auf dem sein Glaube ruht, in den von festem Vertrauen eingegebenen Worten: „Dem Guten kann nichts Übles geschehen, weder im Leben noch nach seinem Tode, und seine Sache wird von den Göttern nicht verlassen“.
In solcher Gesinnung ist Sokrates in den Tod gegangen. Sein Tod war, wie er selbst sagte, für ihn kein Übel, sondern eine Zuträglichkeit. Für seine Sache aber wurde er geradezu zum Triumph, indem er für seine Schüler der begeisternde Sporn zur Verbreitung der Lehre des Meisters ward.
Platon, Athen, ca. 427 bis 347 vuZ
entstammte einer vornehmen Familie. Die Mutter leitete ihr Geschlecht von einem Verwandten Solons, der Vater das seine gar von König Kodrus ab; zu seinen Vettern gehörte, der bekannte Oligarch Kritias.
Platon dankt einmal den Göttern für vier Dinge: dass er geboren sei als Mensch, als Mann, als Grieche und – als Bürger Athens zu Sokrates‘ Zeit.
Nach Reisen in verschiedene Länder, bis nach Ägypten, gründete er etwa 40jährig die Akademie, eine Art Hochschule.
Hier lehrte und betrieb er seine Philosophie, teils in dialogischer Form wie Sokrates, aber im Gegensatz zu diesem völlig zurückgezogen vom öffentlichen Leben, teils auch in fortlaufendem Vortrag.
Achtzigjährig, ist Plato im Jahre 347 gestorben, »schreibend«, d.h. doch wohl: noch in der Ausarbeitung seiner Schriften begriffen. Den Untergang der politischen Freiheit Griechenlands hat er nicht mehr erlebt.
Platons Werke:
Zur Charakterisierung des Sokrates: Apologie (die von Plato fingierte Verteidigungsrede des Sokrates), Krito (Sokrates‘ Gesetzestreue).
Die kleineren ethischen Dialoge: Euthyphro (Frömmigkeit), Lackes (Tapferkeit), Charmides (Besonnenheit), Lysis (Freundschaft und Liebe).
Zur Auseinandersetzung mit den Sophisten.
Euthydem (übermütige Verspottung der sophistischen Trugschlüsse),
Kratylos (gegen die sprachlichen Untersuchungen der Sophisten),
Gorgias (gegen falsche Rhetorik),
Protagoras (Überlegenheit der Philosophie gegenüber der Sophistik überhaupt),
Meno (Lehrbarkeit der Tugend; „Wiedererinnerung“).
1.Buch der Politeia (Dialog über die Gerechtigkeit)
Ideenlehre
Phaidros (Ideenlehre; Dreiteilung der Seele),
Theaetet (Ideenlehre, bes. Erkenntnistheoretisches),
Symposion (bei Aristoteles „die Liebesrede“, schildert den Eros als den philosophischen Grundtrieb),
Phaidon (von der wahren Unsterblichkeit),
Politeia II – X (der beste Staat),
Parmenides (die Ideen und das Eine)
Alterswerke.
Sophistes (Wesen des Sophisten),
Politikos (Begriff des Staatsmanns),
Philebos (die Idee des Guten, im Gegensatz zu der Lust),
Timaios (Naturphilosophie),
Kritias (geschichtsphilosophisches Fragment, vom Urzustand der Menschheit),
Gesetze (der zweitbeste Staat)
Platon ist Denker und auch Künstler. Seine sind kleine Kunstwerke, die in plastischer Anschaulichkeit und dramatischer Lebendigkeit Personen und Meinungen darstellen, mit dichterischem Schwung in reicher Bildersprache geschrieben.
Zu seiner poetischen Anlage kam noch hinzu, dass er die ganze wissenschaftliche und politische, literarische und künstlerische Bildung seiner Zeit in sich aufgenommen hatte, dass sein Genius befruchtet war von Homer und den großen Tragikern, von dem Zeus des Phidias.
Platons Ideenlehre ist der erste wissenschaftliche Versuch, die Grundfrage aller Philosophie, das erkenntnistheoretische Problem, zu stellen und zu lösen: Wie ist Erkenntnis, wie ist Wissenschaft möglich?
Die Anfänge einer solchen Fragestellung leuchten bereits bei einzelnen Vorgängern Platons auf. Schon Heraklit hatte gefragt: Gibt es etwas Feststehendes oder ist alles im ewigen Flusse begriffen? Ihm gegenüber hatten die Eleaten durch ihr eines, in allem Wechsel beharrendes Sein den Keim zu dem Gedanken der Gesetzlichkeit alles Geschehenden gelegt, aber sie hatten diesen Gedanken noch nicht folgerecht zu Ende gedacht und waren bei der Behauptung eines körperlichen Seins, Daseins stehen geblieben.
Am weitesten in der Richtung eines wissenschaftlichen Idealismus hin war die Atomiten Leukipp und Demokrit vorgedrungen, indem sie der sinnlichen Welt des Parmenides als wahrhaft Seiendes die Atome und den leeren Raum, also gedankliche Notwendigkeiten und Prinzipien wissenschaftlicher Forschung, entgegenstellten.
Gleichzeitig machen die Sophisten, bei aller wertvollen Betonung des denkenden Subjekts, den Rückschritt, dass sie alle allgemeingültige Erkenntnis leugnen.
Dem entgegen behauptet dann Sokrates um so energischer eben diese Allgemeingültigkeit, aber er bleibt im wesentlichen bei der blossen Behauptung als Motiv seiner kritischen Methode stehen. Er weiss, dass man Grundbegriffe und Grundsätze haben muss – und dies war ein gewaltiger Fortschritt gegenüber den vorsokratischen »Märchenerzählern«, wie Platon sagt, die nicht nach dem Grund der Erkenntnis fragen -, aber er unternimmt es noch nicht, sie positiv zu entwickeln; während das Interesse der „einseitigen Sokratiker“ fast ausschließlich dem besten Wege zur Glückseligkeit gilt. Der wahre Fortbildner des Sokrates ist erst Platon, indem er den sokratischen Begriff vertieft und zur Idee erhebt.
Die erkenntnistheoretischen Vorstufen:
Die unterste ist die der sinnlichen Wahrnehmung (aisthêsis) und der Empfindung. Aber bei dem Zustande des beständigen Fliessens und Werdens, in dem sich alle Sinnendinge befinden, können die Sinne keine feste und deutliche Erkenntnis liefern; für sich allein, führen sie nur zu der Annahme einer vollkommenen Relativität, wie sie sich in dem Satze des Protagoras aussprach. Die Wahrnehmung setzt jedoch – denn die Sinne sind nur ihre Werkzeuge – bereits eine zusammenfassende, vergleichende, überlegende Tätigkeit der Seele voraus, die zur Bildung einer Meinung oder Vorstellung (doxa) führt. Diese mag nun zwar für das gewöhnliche Denken und Handeln von großer Wichtigkeit sein: das wahrhaft philosophische Streben (der Eros) kann sich bei ihr nicht beruhigen. Es ist auf das Bleibende im Flusse der Erscheinungen gerichtet. Nur die Erkenntnis dieses Bleibenden oder Seienden (on) kann in Wahrheit Wissenschaft (epistêmê) heissen. Dieses Sein aber kann nicht das körperliche Sein der Eleaten sein, sondern nur das der Begriffe, wie bei Sokrates.
Damit stehen wir an der Quelle des Idealismus und zugleich alles wissenschaftlichen Denkens. Platon fasst zum erstenmal in voller grundsätzlicher Klarheit den Gedanken eines anderen als des körperlichen Seins (Daseins), nämlich den eines rein gedanklichen, „idealen“ Seins, welches dadurch ist, weil es gedacht wird.
Die Idee wird daher als ein „Sein“ (ousia) bezeichnet. Die griechische Sprache bot Plato kein anderes Wort dar als dieses.
„Auf die Idee hinschauend“ verfertigt der Tischler seine Bettstelle, der Künstler sein Werk.
Zur Ideenschau wird daher erfordert Abkehr von der Aussenwelt, Ruhe und Sammlung der Seele (Phaedo) und ein „Nachspüren bei sich selbst“, weil wir in ihr doch nur das „Unsrige“ wiederfinden.
In diesen Zusammenhang gehört der angewandte Mythos von der „Wiedererinnerung“ (anamnêsis): wonach die im Schauen begriffene Seele sich an das wieder erinnert, was sie einst vor ihrem Erdendasein droben geschaut hat, da sie als Genossin eines Gottes durch den Himmel zog.
Die Idee ist also das wirkliche Sein, ontôs on, eigentlich das „seiend“ Seiende, das an sich Seiende.
Sie ist deshalb ein blosses Gedankending (noêton), ein Gedanke (noêma) oder eine Vorstellung von uns (ennoia); die Ideen heissen gelegentlich auch logoi, Vernunftgründe.
Weil Platon nun sein neues Sein von der bisherigen Seinsauffassung (im Sinne des räumlich-zeitlichen Daseins) aufs Nachdrücklichste scheiden will, sucht er mit allen sprachlichen Mitteln jede Versinnlichung der Ideen von vornherein auszuschliessen. Deshalb stellt er sie dar als thronend an einem „überhimmlischen Orte, dem, was droben ist, dem Gefilde der Wahrheit, als ewige, farblose, gestaltlose, untastbare, seiend seiende“ (Phaedrus), an anderen Stellen als unkörperliche, unräumliche, unveränderliche, unsinnliche Wesenheiten.
Eine weitere Wendung Platons, wonach das Ideendenken als ein Zeugen, die Idee als von uns selbst Erzeugtes dargestellt wird: Wenn der Philosoph, ja der Mensch überhaupt mit dem Schönen in Berührung kommt, erzeugt und gebiert er nur, womit seine Seele längst schwanger ging. Nicht eine fertige unveränderliche Substanz, die von außen in die Seele hinein gebracht wurde, ist die Idee, sondern sie erzeugt sich in derselben, wird von ihr hervorgebracht. Sie ist das Musterbild, das dem Künstler, das Modell, das dem Techniker, der Gedanke, der dem Philosophen innerlich vor Augen steht, worauf „hinschauend“ er schafft. Und den Drang zu dieser Hervorbringung verursacht die Grundstimmung des Philosophen wie des Künstlers: der Eros, die Liebe, die Begeisterung, das geistige Zeugungsstreben.
Wie verhält sich nun die Idee zu den Sinnendingen der Erfahrungswelt?
Im siebten Buch seines Hauptwerkes Politeia stellt Platon das Sonnengleichnis, das Liniengleichnis und das Höhlengleichnis als Lehrbeispiel für eine der schon genannten wesentlichen philosophischen Grundkategorien, neben Logik und Ethik, die Erkenntnistheorie, deren Hauptgebiete Physik bzw. Metaphysik sind, vor.
Im Sonnengleichnis ist die Sonne die Ursache dafür, dass das Auge die Gegenstände sehen kann. Die Dunkelheit bietet nur farblose Schatten.
Die Idee des Guten ist die Sonne, und die Seele kann nur im Licht des Guten Erkenntnis und Wahrheit sehen, so, wie die Gegenstände der Welt nur durch die Sonne sichtbar sind.
Allerdings sind Erkenntnis und Wahrheit noch nicht an sich das Gute, das muss erst gefunden werden, aber doch „gutähnlich“.
Im Liniengleichnis ist eine Linie in zwei Teile aufgeteilt. Die zwei Teile sind auf der einen Seite das Sichtbare und auf der anderen Seite das Denkbare.
Sichtbares
- Schatten, Spiegelungen, die Wahrscheinlichkeit
- sinnlich wahrnehmbare Objekte, der Glaube
Denkbares
- Mathematik, Logik, Hypothesen, Verstand
- Das Reich der Ideen, Reich des reinen Denkens, die Vernunfteinsicht
Diese Reihenfolge der Erkenntnis geht von der einfachsten, bildhaften zur höchsten Erkenntnis im Reich der Ideen.
Die der dialektischen Erkenntnis der Ideen zugeordnete Vernunfteinsicht unterscheidet sich dabei von der mathematischen Verstandesgewissheit dadurch, dass die mathematischen Wissenschaften zwar streng beweisen, aber hierbei von nicht weiter analysierten Axiomen ausgehen. Die dialektische Vernunfteinsicht dagegen problematisiert ihre eigenen Voraussetzungen und kann somit zur höchstmöglichen Erkenntnis gelangen.
Im Höhlengleichnis beschreibt Platon Menschen, die in einer unterirdischen Höhle von Kindheit an so festgebunden sind, dass sie weder ihre Köpfe noch ihre Körper bewegen und deshalb immer nur auf die ihnen gegenüber liegende Höhlenwand blicken können. Licht haben sie von einem Feuer, das hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und ihren Rücken werden Bilder und Gegenstände vorbeigetragen, die Schatten an die Wand werfen. Die quasi `Gefangenen können nur diese Schatten der Gegenstände sowie ihre eigenen Schatten und die ihrer Mitgefangenen wahrnehmen. Wenn die Träger der Gegenstände sprechen, hallt es von der Wand so zurück, als ob die Schatten selber sprächen. Da sich die Welt der Gefangenen ausschließlich um diese Schatten dreht, erleben und benennen sie diese, als handelte es sich bei ihnen um die wahre Welt.
Platon fragt nun, was passieren würde, wenn man einen Gefangenen entfesselte und ihn dann zwänge, sich umzudrehen. Zunächst würden seine Augen wohl schmerzlich vom Feuer geblendet werden, und die Figuren würden zunächst weniger real erscheinen als zuvor die Schatten an der Wand. Der Gefangene würde wieder zurück an seinen angestammten Platz wollen, an dem er deutlicher sehen kann.
Weiter fragt Platon, was passieren würde, wenn man den Befreiten nun mit Gewalt, die man jetzt wohl anwenden müsste, an das Sonnenlicht brächte. Er würde auch hier zuerst von der Sonne geblendet werden und könnte im ersten Moment nichts erkennen. Während sich seine Augen aber langsam an das Sonnenlicht gewöhnten, würden zuerst dunkle Formen wie Schatten und nach und nach auch hellere Objekte bis hin zur Sonne selbst erkennbar werden. Der Mensch würde letztendlich auch erkennen, dass Schatten durch die Sonne geworfen werden.
Erleuchtet würde er nun zu den anderen zurückkehren wollen, um über seine Erkenntnis zu berichten. Da sich seine Augen nun umgekehrt erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen müssten, könnte er anfangs die Schattenbilder nicht erkennen und gemeinsam mit den anderen deuten. Aber nachdem er die Wahrheit erkannt habe, würde er das auch nicht mehr wollen. Seine Mitgefangenen würden ihn als Geblendeten wahrnehmen und ihm keinen Glauben schenken: Man würde ihn auslachen und „von ihm sagen, er sei mit verdorbenen Augen von oben zurückgekommen“. Damit ihnen nicht dasselbe Schicksal zukäme, würden sie von nun an jeden umbringen, der sie „lösen und hinaufbringen“ wollte.
Platon veranschaulicht durch sein Gleichnis, dass der gewöhnliche Mensch im Alltag wie in einer Höhle lebt. Denn die Dinge, die er als real wahrnimmt, sind Platons Ideenlehre zufolge in Wahrheit nur Schatten und Abbildungen des wahren Seienden. Die Höhle im Gleichnis steht für unsere sinnlich wahrnehmbare Welt, der harte Aufstieg des Höhlenbewohners für den Weg der Seele hinauf bis zur Erkenntnis des tatsächlichen Zentrums des Seins: der Idee des Guten, die im Gleichnis durch die Sonne repräsentiert ist. Es geht im Höhlengleichnis also darum, die Denkkraft nicht auf das sinnlich Wahrnehmbare der uns unmittelbar umgebenden Welt zu lenken, sondern auf das, was hinter dieser Welt steht bzw. auf den ideellen Ursprung dieser Welt.
Das Ende des Höhlengleichnisses nimmt Bezug auf das Ende des Sokrates, der von den Athenern für seine philosophische Tätigkeit zum Tode verurteilt worden ist.
Platon kritisierte die in den griechischen Stadt-Staaten seiner Zeit bestehenden politischen und gesellschaftlichen Ordnungen und lehnte sowohl die Demokratie, die Oligarchie und die Tyrannis ab. Er entwarf das Bild eines idealen Zukunftsstaates, in dem durch Auslese von Kindheit an und ohne ererbte Vorrechte die Besten zu Philosophenkönigen werden, während die Masse des Volkes von jeder Herrschaft und Mitbestimmung ausgeschlossen bleibt.
Die Ideen sind also bei Platon in höherem Masse seiend/ ontologisch, die einzig wahrhaft seienden Wesenheiten.
Die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände besitzen für Platon nur ein unbedeutendes Sein.
Das Schöne, Gerechte, Gleiche ist selbst Ursache dafür, dass die einzelnen Dinge, die schön, gerecht sind, dies sind. Eine Rose ist deshalb schön, weil sie an der „Idee des Schönen“ teilhat.
Die Idee des Guten verleiht den Ideen ihr Sein und Wesen. Die Idee des Guten ist daher eine Art Meta-Idee. Als höchste Idee hat sie ihr Sein und Wesen aus sich selbst heraus, nicht erst durch Teilhabe an der Aussenwelt.
Erkenntnis- und Seinslehre/Ontologie sind verbunden mit einem Menschenbild/Anthropologie, das allein aus der Liebe, dem Eros zum Guten aus edler Menschlichkeit die lebensnotwendige und erkenntnisstiftende Dynamik erhält.
Indem Platon also eine radikale Spaltung der Realität in Ideenreich und davon abgeleitet sinnlich wahrnehmbare Welt vollzog, brach er nicht nur mit der Philosophie der Vorsokratiker, sondern konzipierte gleichzeitig auch ein dualistisches Weltbild, das die abendländische Geistesgeschichte bis heute beeinflusst, insbesondere vermittelt wurde durch das Christentum.
Wissen ist für Platon also nicht Abstraktion, gewonnen aus Erfahrung und Überlegung, diese Position nimmt nun sein Schüler Aristoteles ein.
Aristoteles, Athen, 384 bis 322 vuZ
kam als 17- bis 18 jähriger Jüngling nach Athen und trat dort in die platonische Schule ein, der er zwei Jahrzehnte bis zum Tode von Platon angehörte.
342 folgte er einem Rufe König Philipps von Makedonien an dessen Hof, um die Erziehung des 14 jährigen Alexander zu übernehmen. Noch ehe Alexander seinen Zug nach Asien antrat, siedelte Aristoteles mit seinem Freunde Theophrast nach Athen über und gründete dort seine eigene Schule, das Lyzeum. Nach dem Tode Alexanders des Großen wurde Aristoteles formell wegen „Gottlosigkeit“, wahrscheinlich aber wegen seiner makedonischen Beziehungen, angeklagt, und floh von Athen – er wolle den Athenern, soll er gesagt haben, nicht zum zweitenmal Gelegenheit geben, sich an der Philosophie zu versündigen – nach Chalkis auf Euböa, wo er schon im folgenden Jahre an einer Magenkrankheit starb.
Auch für Aristoteles ist das letzte Ziel der Philosophie Erkenntnis des Seienden und Allgemeingültigen, und gleich seinen beiden Vorgängern Sokrates und Plato ist auch er davon überzeugt, dass nur auf dem Wege begrifflicher Erkenntnis wahres Wissen (Wissenschaft) möglich sei. Aber stärker als die gemeinsame Grundlage tritt, wenigstens gegenüber Plato, die Verschiedenheit hervor. Plato beginnt als Kritiker der Erkenntnis; Aristoteles geht ganz dogmatisch von der „natürlichen“ vulgären Vorstellungsweise der Dinge aus, die nur der logischen Bearbeitung bedürfe. Auf die philosophische Grundfrage: »Wie ist das Seiende zu denken? Was heißt Substanz?« antwortet Aristoteles: Das Sein kann weder in der blossen Materie gesucht werden, die das Geistige nicht zu erklären vermag, noch in dem reinen Gedanken des Allgemeinen (Plato), sondern liegt in dem Einzelding, insofern es durch das Allgemeine bestimmt wird.
Platos Interesse war ein erkenntnistheoretisches, dasjenige des Aristoteles ist ein genetisches: er will die in den Sinnendingen wirkenden Ursachen auffinden und erklären.
Sokrates habe sich mit Recht auf den Satz beschränkt: Soviel Naturdinge, soviel Gattungsbegriffe (eidê) von ihnen; Plato aber habe außerdem für jedes Ding noch eine Idee verlangt. Nach ihm gebe es z.B. drei verschiedene Himmel: den sinnlich wahrnehmbaren, den mathematisch verstandenen und die Himmelidee; ebenso drei verschiedene Menschen: den Einzelmenschen dort, die Gattung Mensch (autoanthrôpos) und einen „dritten Menschen“ (tritos anthrôpos), dessen Idee die beiden ersteren nachgebildet seien.
Gegenüber dem Begründer des Idealismus sucht Aristoteles das „Wesen“ der Dinge nicht „abgesondert“ von den äusseren Gegenständen, sondern in ihne, das Eine nicht neben den Vielen sondern in den Vielen.
Sein „realistischer“ Tatsachensinn hat ihn zu wichtigen Einzelentdeckungen geführt, allerdings mit Unterschätzung des Wertes der Mathematik als wissenschaftlichen Denkmittels, und einer Überschätzung der formalen, namentlich der klassifizierenden Logik.
Seine Schriften:
- die Logik, die als allgemeine Theorie des wissenschaftlichen Verfahrens gleichsam die Einleitung zu der
- dann folgenden „ersten“ Philosophie oder Metaphysik enthält,
- seine Natur– und Seelenlehre,
- die auf letzterer ruhende „praktische“ Philosophie: Ethik und Politik, und
- deren „poietischen“ Anhang: Rhetorik und Kunstlehre.
Die Logik war mit dem bisherigen wissenschaftlichen Denken üentstanden: die Grundbegriffe der Substanz, Grösse und Bewegung mit den philosophisch-mathematischen Problemen der Pythagoreer und Eleaten, der des Begriffes mit Sokrates. In Platos Ideenlehre ist das „dialektische“ Verfahren und auch die bestimmten Begriffe der Negation, der Hypothese, der Einheit, der Ursache und des Daseins bereits zu reicher wissenschaftlicher Fruchtbarkeit gediehen.
Aristoteles nun fasst zum erstenmal diese und andere Begriffe in systematischer Formulierung zusammen und begründet so die Logik als eigene Disziplin.
Da alle Erkenntnis in der Verknüpfung von Begriffen (logoi, eigentlich Worten!) miteinander zu Urteilen besteht, Urteile aber sich zu Schlüssen und Beweisen zusammensetzen, so bildet den Mittelpunkt der aristotelischen Logik die Lehre vom logischen Schluss und der Beweisführung, wie sie in seinem logischen Hauptwerke, der Analytik/Zergliederungskunst des Denkens steht.
Die Urteile zerfallen in bejahende und verneinende, allgemeine, partikulare und einzelne usw.
Der Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere zeigt die Regeln, nach denen aus gegebenen Sätzen oder Voraussetzungen andere folgen. Ihr oberstes Prinzip ist der Satz des Widerspruchs (a = a und nicht = non a).
Umgekehrt wie der Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere oder deduktive (ableitende) Beweis, verfährt die Induktion/Heranbringung, die von dem bekannten Einzelding zu dem erst festzustellenden Allgemeinen hinführt, z.B.: Der Mensch hat wenig Galle und lebt lange, das Pferd ebenfalls, das Maultier usw. desgleichen; also sind alle Tiere mit wenig Galle langlebig.
Es geht darum, das Wesen der Dinge begriffsmässig zu bestimmen.
Zu einer guten Definition ist die Unterscheidung von Gattungen (genê), und Arten (eidê) erforderlich. Die Gattung trennt das Ding von allen andersartigen Dingen, die Art von den übrigen Dingen derselben Gattung.
Alle Begriffe fallen unter die „Hauptgattungen der Aussagen über das Seiende“, die Kategorien, von denen Aristoteles willkürlich bald 8, bald 10 aufstellt, z. B.:
- Substanz (ousia), z.B. Mensch, Pferd
- Quantität (poson), z.B. zwei oder drei Ellen lang
- Qualität (poion), z.B. weiß, literarisch gebildet
- Relation (pros ti), z.B. doppelt, halb, grösser
- Ort (pou), z.B. auf dem Markte, im Lyzeum
- Zeit (pote), z.B. gestern, im vorigen Jahre
- Lage (keisthai), z.B. liegt, sitzt
- Zustand (echein), z.B. ist beschuht, bewaffnet
- Tätigkeit (poiein), z.B. schneidet, brennt
- Leiden (kaschein), z.B. wird geschnitten, wird gebrannt.
Die grundlegendsten sind die ersten vier, und von ihnen wieder die wichtigste die Substanz, die uns noch in der Metaphysik begegnen wird.
Die Logik ist Aristoteles‘ beste und dauerndste Schöpfung geblieben. Nach dem Sinne ihres Urhebers ist die Logik die Vorschule zu seiner „ersten“ Philosophie oder Metaphysik.
In seinem logischen Hauptwerk, der Ersten Analytik, entwickelt er also die Syllogistik, ein formales logisches System im modernen Sinn, in dem Argumente starrer Struktur, Syllogismen genannt, untersucht werden. In einem Syllogismus wird aus zwei Aussagen auf eine dritte Aussage geschlossen. Diese Aussagen setzen ihrerseits auf bestimmte Weise Begriffe zueinander in Beziehung. Ein Beispiel für einen gültigen Syllogismus ist das Argument: „Kein Rechteck ist ein Kreis. Alle Quadrate sind Rechtecke. Also ist kein Quadrat ein Kreis“.
Aristoteles die vier Gründe des Seienden.
Zunächst unterscheidet Aristoteles zwischen Dingen, die von Natur aus da sind, wie etwa Tiere und Pflanzen aber auch einfache Körper wie Erde, Feuer, Luft, Wasser und den Dingen, die auf andere Ursachen zurückzuführen sind. Diesen Gegenständen von Natur aus sei zu eigen, dass sie „in sich selbst einen Anfang von Veränderung und Bestand“ haben. Diese Veränderungen könnten Ortsbewegungen, Wachsen und Vergehen oder Eigenschaftsveränderungen sein. Veränderungen würden diesen Gegenständen also nicht von außen aufgezwungen werden, sondern würden auf einem innewohnenden Antrieb beruhen. Den Dingen von Natur, die Naturbeschaffenheit haben, stellt Aristoteles kunstgemäß hergestellte Dinge, wie etwa Haus, Liege und Kleid entgegen, die keinen Drang zur Veränderung in sich tragen würden. Diese Dingen würden allenfalls nebenbei den Drang von Veränderung in sich tragen, insofern, daß sie aus Dingen bestehen oder Dinge enthalten, die diesen Drang in sich tragen würden. Denn Nichts, was hergestellt sei „enthält ja in sich den Anfangsgrund seiner Herstellung“. Der Grund für ihre Herstellung liege also nicht in diesen Dingen selbst, sondern werde von außen an sie herangetragen.
Naturbeschaffenhei, als innewohnende Ursache von Bewegung und Ruhe an den Dingen habe alles, was in sich die Möglichkeit zur selbständigen Veränderung trage, und sei etwas Zugrundeliegendes und komme nur an Zugrundeliegendem vor.
Naturgemäss oder von Natur aus nennt Aristoteles die Eigenschaften der Dinge, die ihnen innewohnen, wie etwa dem Feuer der Auftrieb nach oben innewohnt. Im Gegensatz zu der Existenz von Naturbeschaffenheit, die offensichtlich sei, werde die Naturanlage bei einigen Denkern als das „erste in einem jeden Vorfindliche“, was nicht offensichtlich sein müsse, bestimmt. Als Beispiel führt Aristoteles die Beweisführung des Antiphon an:
Grübe man eine Liege in die Erde ein und würde im Zuge der Verrottung ein Keim aus der Liege sprießen, so würde niemals eine Liege daraus entstehen, sondern nur Holz. So sei das eigentliche Wesen des künstlichen Gebildes Liege, deren Bestimmtheit „Liege“ ihm nur nebenbei zukäme, das, was sich erhalte, nämlich Holz.
Das überdauernde Element bzw. Elemente sei die Naturbeschaffenheit und das Wesen des Gegenstandes. So hätten einige Denker versucht, ein Element oder mehrere Elemente als die Naturbeschaffenheit des Gegebenen zu bestimmen, wie etwa Feuer, Luft, Wasser oder Erde. Alles Sein sei nur ein Zustand eine Anordnung oder ein Ereignis dieser zugrunde liegenden unveränderlichen Elemente bzw. Elements. Hiermit ist die Stoffursache bestimmt als das, was den Dingen, die die Fähigkeit zum Wandel in sich haben, zugrunde liegt, und was sie überdauert. Als zweite Möglichkeit, von Naturbeschaffenheit zu sprechen, führt Aristoteles die Form eines Dings, das die Fähigkeit zum Wandel in sich trägt, an.
Zur Bestimmung der Form müsse das Ding seine endgültige Gestalt erreicht haben. Es reiche nicht, wenn es nur der Möglichkeit nach ist, wie etwa ein halbfertiges Haus, da es (noch) kein eigenes bestimmbares Wesen habe. Als Formursache bestimmt Aristoteles die Gestalt eines Dings, die es uns als eben solches erkennen läßt und die sich allenfalls in Gedanken von ihm ablösen lässt. So werde Naturbeschaffenheit zum einen als stoffliche Grundlage und zum anderen als Gestalt aufgefasst.
Die Form sei im höheren Masse Naturbeschaffenheit, als der Stoff, aus dem ein Ding besteht, da es erst zu einem Bestimmten werde, und als solches benannt werden könne, wenn es seine (vollendete) Zweckform erreicht habe. Naturanlage als eine Entwicklung sei immer eine Entwicklung zum eigentlichen Wesen.
Die Ethik des Aristoteles
Auch in der Ethik verlässt Aristoteles die von Platon eingeschlagene erkenntnistheoretische Bahn. Er fragt nicht nach der Idee des Guten, nach einem Sittlichen an sich und seinem Geltungswert. Seine Ethik ist nicht auf die Erkenntnis des einen, ewigen, unveränderlichen Ideals gerichtet, sondern auf die Einsicht in das dem Menschen erreichbare Gute, das nach Geschlecht, Stand, Beruf, Volk verschieden, ein anderes für Mann, Weib und Sklaven ist.
Es ist nicht zu begreifen, meint er Eth. Nicom. I 4, was die „befreundeten Männer“ (Platoniker) mit ihrem Ding an sich (auto hekaston) sagen wollen. Gesetzt auch, es gäbe ein Gutes an sich, so wäre es doch für den Menschen weder ausführbar noch erreichbar; „nur ein solches aber wird gesucht“.
„Es ist nicht erfindlich, wie der Weber oder der Dachdecker für seine Kunst aus dem Wissen des Guten an sich Nutzen ziehen oder, wie der der bessere Arzt oder Feldherr sein soll, der die Idee selbst geschaut hat“.
Das Gute ist vielmehr, so beginnt die nikomachische Ethik, in jeder Kunst und jeder Handlung „das, wonach alles hinstrebt“, also der Zweck des betreffenden Dinges: für die Heilkunst die Gesundheit, für die Kriegskunst der Sieg, für die Wirtschaftslehre der Reichtum usw.
Als Massstab gilt also die bloße Nützlichkeit. Denn unser Ziel ist nicht Erkenntnis, sondern Handeln. Nicht „der Theorie halber, »nicht, damit wir wissen, was die Tugend ist, sondern damit wir tüchtige Leute werden“, treiben wir Ethik (II 2, 1).
Aristoteles verzichtet demnach von vornherein darauf, eine Ethik als Wissenschaft zu begründen – man müsse sich auf diesem Gebiete vielmehr, im Gegensatz zu Mathematik und Metaphysik, mit Wahrscheinlichkeiten zufrieden geben -, er begnügt sich mit empirischen Begriffsbestimmungen und anregenden moralphilosophischen Betrachtungen.
Ein Gutes allerdings gibt es, das von allen Menschen um seiner selbst willen begehrt wird: die Glückseligkeit (eudaimonia), der oberste aller Zwecke, das höchste aller Güter.
Aristoteles denkt nun hoch genug, um sie nicht im Sinnengenuss oder im blossen Besitz von Reichtum, Ehren und anderen äußeren Gütern zu erblicken, sondern in der „vernünftigen oder tugendhaften Tätigkeit der Seele“.
Allein schon in dem, was als Erfordernis zu dieser letzteren bezeichnet wird, zeigt sich, dass die Selbständigkeit des Sittlichen aufgegeben ist. Es gehören dazu:
- die Entwicklung zur vollen Reife des Mannes (nicht Weibes!),
- gewisse äussere Güter wie Gesundheit, Wohlhabenheit, schöne Gestalt, wenigstens als Beförderungsmittel,
- das Leben mit anderen im Staate. Nicht das Gute ist eben mehr das Ziel seiner Ethik, sondern die guten Personen.
Die Vorzüge der Seele, welche jene vollkommene Tätigkeit hervorrufen, bestehen in solchen des Denkens und des Wollens (später Kant).
Die vom 2. bis 6. Buche der Nikomachischen Ethik beschriebenen ethischen Tugenden sind: Mannhaftigkeit, Mässigkeit, vornehmer Sinn, Selbständigkeit, richtige Selbstschätzung, Milde, Wahrhaftigkeit, Fröhlichkeit, Freundschaft und Gerechtigkeit.
Und zwar bildet jede dieser Tugenden die richtige Mitte (mesotês) zwischen zwei zu vermeidenden Extremen, z.B. die Tapferkeit zwischen Feigheit und Tollkühnheit, die Mässigkeit zwischen Wollust und Stumpfsinn, die Freigebigkeit zwischen Geiz und Verschwendung.
Worin das Mittlere seinen Massstab finde, wird nicht genauer begründet, sondern nur auf die praktische Einsicht verwiesen. Die ethischen Tugenden werden definiert als Willens- oder Gesinnungs-(êthos) Beschaffenheiten, welche die unserer Natur angemessene Mitte einhalten, gemäss einer vernünftigen Bestimmung (logos), wie sie der Einsichtige, geben wird.
Die vollkommenste der ethischen Tugenden und zugleich die Grundlage des staatlichen Lebens ist die Gerechtigkeit (Eth. Nic. Buch V); als austeilende Gerechtigkeit verteilt sie Ehre und materiellen Nutzen nach der Würdigkeit, als ausgleichende gibt sie bei Rechtsgeschäften und Strafvergehen jedem das ihm Zukommende.
Aristoteles‘ ethische Schriften zeugen an vielen Stellen von reicher Welt- und Menschenkenntnis, sowie von feiner psychologischer Beobachtung. Besonders eingehend wird neben der Gerechtigkeit die Freundschaft, die sich bei ihm schliesslich zu einer Art Nächstenliebe erweitert, behandelt (Buch VIII und IX). Beide Tugenden zusammen sind die sittliche Grundlage alles menschlichen Zusammenlebens in der Familie und im Staate. So bildet die Ethik nur eine Einleitung in die Politik, als deren Teil sie bezeichnet wird.
Die sittliche Aufgabe ist nur im Staate lösbar. Der Mensch trägt von Natur den Trieb zur Gemeinschaft mit seinesgleichen in sich, ist ein »politisches Lebewesen« (zôon politikon).
Zeitlich geht allerdings dem Staate (der Stadt) die Familie und die aus Familien sich zusammensetzende Dorfgemeinde voraus; seiner »Natur« aber, d. i. seinem Zweck nach steht er über jenen, wie das Ganze über seinen Teilen, und muss das Recht regelnden Eingreifens in die menschlichen Verhältnisse besitzen. Sein Ziel ist Erhaltung, Sicherung und Vervollkommnung nicht bloß des physischen Daseins, sondern auch des sittlichen Lebens seiner Bürger und läuft so auf dasselbe hinaus, was die Ethik bereits für das private Leben als höchstes Gut bezeichnet hatte: die Glückseligkeit.
„Entstanden um des (nackten) Lebens willen, besteht der Staat um des Gut-Lebens (eu zên) willen“.
Er hält die von Plato erstrebte Einheitlichkeit des Denkens, Fühlens und Wollens weder für erreichbar noch auch nur für begehrenswert. Dazu sind, wie er meint, die Bedürfnisse, Ansprüche und Leistungen der Menschen zu verschieden. Seine Staatslehre ist nicht eine Politik des Sollens, sondern, gleich seiner Ethik, eine solche der rechten Mitte, die den Anschluss an das historisch Gegebene sucht, mit allen Vorzügen und Schwächen solcher »Real«-Politik.
Da er seinen Staat »organisch« auf Familie und Privatbesitz aufbaut, muss er natürlich die platonische Güter-, Weiber- und Kindergemeinschaft verwerfen. Die Sklaverei findet er in der »Natur« begründet, so lange – eine merkwürdige Vorausahnung des 19. Jahrhunderts! – noch keine Maschinen erfunden seien, die deren Arbeit verrichteten.
Es gebe von der Natur zu niedriger Arbeit bestimmte Menschen nicht bloss, sondern auch Völker, wie die Barbaren im Vergleich mit den Griechen. Alle banausische Erwerbsarbeit, insbesondere auch Geldgeschäfte, ja selbst die berufsmäßige Ausübung der schönen Künste dünkt ihm des Freien und Vollbürgers unwürdig. Die Tugend bedarf der Musse. Der Schwerpunkt des Staatslebens fällt für ihn in den wohlhabenden Mittelstand. Die bestehende Religion will er – auch dies eine Analogie zur Gegenwart – trotz seiner abweichenden persönlichen Ansichten für das »Volk« aufrecht erhalten. Die Vollbürger, zu denen der Erwerbs- und Arbeiterstand jedoch nicht gehört, sollen an politischen Rechten einander gleich sein.
Aristoteles‘ Staatsideal steht ungefähr in der Mitte zwischen Platos Kommunismus und dem laissez-faire (panta eateon, Politik II, 4, 12) der extremen Individualisten. Seine Durchführung erklärt er selbst für äusserst schwierig, „da allezeit nur die Schwächeren, nicht die jeweils Mächtigeren, sich um Gleichheit und Gerechtigkeit ernstlich kümmern“.
Er nennt sechs Grundformen der zweckmässigen Staatsverfassung: Monarchie, Aristokratie, gemässigte Volksherrschaft (politeia) und ihren Entartungen: Tyrannis, Oligarchie, Pöbelherrschaft (bei ihm dêmokratia).
Bevor wir zu den Schulen der Stoiker, der Epikureer und der Skeptiker kommen, hier noch einige sogenannte
Sokratiker und Nachsokratiker
Die kyreneische Schule
ist nach der Heimatstadt ihres Gründers Aristippos aus Kyrene benannt. Er ist etwa 435 in Kyrene, einer griechischen Polis im heutigen Lybien geboren und dort etwa 355 gestorben.
Sie lehrten und lebten Hedonismus, die Lust. Nicht der ist frei, der sich der Lust entzieht, sondern der sie erstrebt und erreicht.
Auch Hilfe für den Mitmenschen wurde als Lustquelle angesehen.
Die Kyrenaiker hielten nur die eigenen Sinneswahrnehmungen für wahr. Die objektive Welt und die Wahrnehmungen anderer Menschen bleiben fremd.
Weitere Kyreneiker sind Arete von Kyrene, Antipater von Kyrene, Euhemeros aus Messene.
Der Kynismus
Begründer ist Antisthenes von Athen, ca. 444 bis 368 vuZ. Antisthenes war zunächst Schüler des Sophisten Gorgias, später von Sokrates.
Die Anhänger dieser Schule wurden „wegen ihrer Bedürfnislosigkeit und ihrer gewollten Armut, dann wegen ihrer Art, die Leute rücksichtslos anzufallen, um ihnen ihre Lehre zu predigen“ auch Hunde genannt.
Der bedeutendste Schüler des Antisthenes und bekannteste Kyniker überhaupt war Diogenes von Sinope. Durch ihn wurde aus dem Kynismus eine wirkliche Philosophenschule.
Von ähnlicher Popularität waren seine Schüler Monimos und Krates von Theben, der wiederum der Lehrer von Zenon, dem Begründer der Stoá, war.
Diogenes von Sinope am Schwarzen Meer, ca. 400 – 325 vuZ
In Athen hörte er Antisthenes, den geistigen Vater der kynischen Philosophie, der Bedürfnislosigkeit predigte.
Diogenes setzte dieses Ideal um, indem er seinen Lebensaufwand drastisch auf ein Minimum reduzierte. So soll er ein einziges Kleid getragen und sich seinen Lebensunterhalt erbettelt haben.
Es existieren überlieferten Details, die Wahrheit oder Legenden sind, dass er in einer Tonne lebte, die er mitten in Korinth aufgestellt hatte. In seiner Tonne war er zwar allein, führte aber dennoch kein Privatleben, sondern lebte allen zugänglich, mitten im Volk, mit all seinen Bedürfnissen in der Öffentlichkeit der Straßen und Plätze:
Wegen dieser Lebensweise, aber auch wegen der Bissigkeit und dem Spott seiner Kommentare, die später zu einem unentbehrlichen Bestandteil des Kynismus wurden und mit denen er die Normen seiner Zeit kritisierte und verächtlich alle Angehörigen der „guten Gesellschaft“ provozierte, erhielt er von den Leuten den abfälligen Beinamen „kyon“ („Hund“). Er selbst betrachtete diesen aber als Ehrentitel und benahm sich nun auch so, wie es dieses Schimpfwort voraussetzte. Auf die Frage, wie er die Bezeichnung Hund verstehe, antwortete er: „ Die mir geben, umwedle ich; die mir nichts geben, belle ich an; die Bösen beiße ich.“ Als ihm bei einer Einladung einige Leute Knochen hinwarfen, wie einem Hund, soll er das Gewand gehoben und diese Menschen angepisst haben – genau wie ein Hund. Als er einmal gefragt wurde, was für ein Hund er sei, meinte er: „Wenn ich Hunger habe, ein Malteser, wenn ich aber satt bin, ein Molosser. Diese loben ja viele Leute, wagen es aber nicht, sie auf die Jagd mitzunehmen, weil das Mühe macht. So könnt ihr mit mir nicht zusammenleben, weil ihr Angst habt vor Widerwärtigkeiten“.
Eine der bekanntesten Anekdoten über Diogenes ist die Begegnung zwischen Alexander dem Großen und Diogenes: Alexander, der berühmte Herrscher, sucht Diogenes auf und sagt ihm, dass er einen Wunsch freihabe, worauf dieser respektlos antwortet: „Geh mir aus der Sonne!“.
Der Kynismus starken Einfluss auf die Stoá ausgeübt. Die Vermischung aus Ernstem, Moralischem, und Lächerlichem, Satirischem, aber auch die typische Schärfe und Bissigkeit macht ihre Lehre aus.
Was ist die Lehre? Höchstes Ziel ist für sie wie bei den meisten anderen nachsokratischen Schulen das Erreichen des Glücks. Dabei geht es, ähnlich wie im Hellenismus, um das Glück des einzelnen. Der Weg dahin, den die Kyniker beschreiten wollen, ist dem der Stoiker sehr ähnlich. Nach der kynischen Lehre beruht Glück auf innerer Unabhängigkeit und Autarkie. Diese innere Freiheit wiederum könne man durch Tugend erreichen, die somit für sich selbst ausreichend zum Glück sei. Sie sei der einzige, wahre Wert, alle anderen vermeintlichen Güter seien in Wirklichkeit Übel oder zumindest unwichtig für ein glückseliges Leben. Worin aber diese Tugend besteht, haben die Kyniker nicht näher definiert – sie waren eher praktisch denn philosophisch orientiert.
Primär ist die kynische Tugend als Vermeidung des Übels und Bedürfnislosigkeit zu verstehen. Letztere sichert die innere Freiheit und führt uns auch zu einem weiteren Grundsatz des Kynismus: der Orientierung an der Natur. Was natürlich ist, könne weder schlecht sein, noch ein Grund, sich dafür zu schämen. Somit ist für die Kyniker beispielsweise das öffentliche Leben des Diogenes nichts Aufregendes, sondern natürlich und normal. Doch auch, wenn diese Bedürfnislosigkeit die Autarkie sichert, ist sie es auch, die zur Negation der althergebrachten Sitten, Normen und Gesetzen, der Kultur, Kunst und Familie, bis hin zur Erregung des öffentlichen Ärgernisses führt.
Durch die Bedürfnislosigkeit wird dem Schicksal möglichst wenig Angriffsfläche geboten: wer nichts besitzt, kann auch nicht enttäuscht werden, weil er nichts verlieren kann. Deswegen sind die größten Hindernisse auf dem Weg zum Glück Begierde, Angst und Unwissenheit. Denn nur durch Wissen sei Tugend erlernbar, vorausgesetzt, dass man auch bereit ist, das Erlernte umzusetzen.
Doch wieso ist das glückliche Leben nur in der Askese zu finden und wieso muss diese so radikal sein?
Nach dem Peloponnesischen Krieg – zwischen dem von Athen geführten Attischen Seebund und dem Peloponnesischen Bund unter seiner Führungsmacht Sparta dauerte, unterbrochen von einigen Waffenstillständen, von 431 bis 404 vuZ. und endete mit dem Sieg der Spartaner – erlitt die Polis eine schwere Krise, die sich vor allem im Elend der Bevölkerung äusserte.
Aus dem Überdruss an dieser „verkommenen Gesellschaft“ rät Antisthenes zum völligen Rückzug aus dem politischen Leben und den alten Werten zugunsten eines naturgemäßen Lebens, das weniger Enttäuschungen mit sich bringt. Diogenes und die anderen Kyniker ziehen sich dagegen nicht völlig zurück, sondern provozieren und gehen in Opposition zu der alten, noch bestehenden Ordnung, von der sie aber wissen, dass sie dem Untergang geweiht ist. Auf diese Weise versuchen sie, die Welt zu verändern und zum Nachdenken anzuregen.
Die Mittel, mit denen sie „zubeissen“, sind das Vorleben der Armut, Provokation und Satire und Spott in Form von heftigen Busspredigten, die durch einen aggressiven Stil des Vortrags, auffällige, extreme Bildersprache und derbe Anschaulichkeit gekennzeichnet sind, die sogenannte Diatribe, der als Unterricht, eine Form moralphilosophischer Rede, die sich in lockerem, volkstümlichem Ton an ein breites Publikum wendet, um es durch unterhaltsame Belehrung zu erziehen. Diese Art übernahmen die Stoiker, Seneca, ua.
Hellenismus und Spätantike,
300 vuZ bis 300 nuZ
Aristoteles‘ Alter fällt schon in die Zeit, in der Griechenland seine politische Selbständigkeit verlor, aber zum Ersatz dafür seine Bildung in die durch Alexanders Eroberungen erschlossene Welt hinaustrug. Griechische Kultur, insbesondere griechische Wissenschaft, ward in fortschreitendem Masse Gemeingut aller Völker, die um das Mittelmeer wohnten. Es ist die Zeit des Hellenismus, in der das staatlich ohnmächtige Hellas geistig die Welt erobert. Erst auf dem Boden der hellenistischen Diadochenstaaten, also die Nachfolger Alexanders, dann auf dem des Imperium Romanum vollzieht sich unaufhaltsam dieser Prozess, der in gewissem Sinne bis heute fortdauert. In diese Wandlung der Dinge ist die griechische Philosophie, als Verkörperung des griechischen Geistes, nicht nur mit eingeschlossen, sondern sie stellt auch in ihrer eigenen Entwicklung eine Parallele dazu dar. Was sie an Tiefe und Ursprünglichkeit verliert, gewinnt sie an Breite, Ausdehnung und praktischer Bedeutung.
In Platon hatte sich die Kraft und Fülle des griechischen Geistes am höchsten und breitesten offenbart; Wissenschaft und Lebensanschauung sind bei ihm noch verschmolzen. In Aristoteles tritt schon der Gegensatz von Theorie und Praxis hervor. Doch fasst er zum Schlusse noch einmal das gesamte theoretische und praktische Denken der Hellenen in einem großen philosophischen System zusammen.
Aber damit scheint sich auch der systembildende Geist der Griechen erschöpft zu haben. Nachdem alle möglichen Arten der Welterklärung vertreten und zuletzt von den beiden großen Systematikern berücksichtigt worden waren, beginnt jetzt die Zeit der Epigonen/Nachahmer, die, ohne eigene philosophische Genialität, in der Aneignung und Fortbildung der vorhandenen philosophischen Gedanken ihre Aufgabe erblicken.
Mit diesem Erlahmen der philosophischen Schöpferkraft hängt eine weitere Erscheinung zusammen. Die Wendung der Wissenschaft vom Allgemeinen zur Einzelforschung, die zur Zeit der Sophistik schon begonnen hatte tritt nun auf allen Gebieten ein. Bis dahin war der Philosoph in der Regel zugleich auch Mathematiker, Astronom, Physiker, Rhetoriker und Politiker gewesen. Jetzt erhält jede Einzelwissenschaft ihre besonderen Vertreter, wenn auch die Fachmänner vielfach noch einer philosophischen Schule angehören oder doch zu ihr hinneigen.
Im ägyptischen Alexandrien, das durch das Sponsoring seiner Fürsten mit Observatorien, Instrumenten, botanischen und zoologischen Gärten, einer Anatomie und besonders einer bedeutenden Bibliothek ausgerüstet war, sowie in den davon beeinflussten Städten Pergamum, Rhodus, Syrakus u. a. feierten in der nun folgenden Epoche die Geometrie in Euklid, die Grammatik in Aristarch von Alexandrien, die Astronomie in Hipparch und Aristarch von Samos, die Geographie in Eratosthenes und Ptolemäus, Mathematik und Mechanik in Archimedes, der auch eine „Methodenlehre der mechanischen Lehrsätze“ schrieb, ihre Erfolge. Die induktive/vom Einzelnen auf das Allgemeine schliessen (deduktiv, vom Allgemeinen auf das Einzelne) Methode, das Experiment, die Hypothese kommen immer öffter zur Anwendung.
Die Philosophie aber wendet sich von dem für sie entweder durch bestimmte Schulformeln erledigten oder als unfruchtbar angesehenen Streit um die großen metaphysischen Probleme in immer steigendem Masse ab. Naturphilosophie und Erkenntnistheorie weichen materialistischer und erfahrungsmässiger Anschauungen. In der Regel werden frühere Systeme Vereinfacht oder Modifiziert.
Dagegen wendet man sich mit erhöhtem Interesse den praktischen Fragen zu, die Philosophie will Lebensweisheit lehren. Man sucht in der Philosophie die in dieser unruhigen Zeit und bei dem Zusammenbruch der alten Glaubensvorstellungen vielen verloren gegangene innere Befriedigung und Ruhe des Gemüts wieder zu erlangen, indem man sich auf sich selbst zurückzieht.
Die einen glauben sie in Genuss des Lebens, die anderen in strenger Pflichterfüllung, die dritten in Zurückhaltung des Urteils, also sich raushalten zu finden.
Später sucht man in der Verschmelzung, Vermischung oder Versöhnung der verschiedenen Standpunkte sein Heil, bis endlich der Platonismus als völlig religiöse Erlösungslehre auftritt.
Aristoteles und Plato hatten noch die Idee der Menschheit philosophisch erfasst.
Diese philosophische Gesamtepoche ist in zwei Abschnitte geteilt:
- Die hellenistische Periode, d. i. die ältere Stoa, die Schule Epikurs, der ältere Skeptizismus. Sie umfasst etwa die Zeit von 300-150 v. Chr.
- Die Philosophie des römischen Weltreichs.
Neben den Griechen beteiligen sich fortan auch Römer und andere Nationen an der philosophischen Arbeit. Der ethische Charakter erhält eine stetig sich steigernde religiöse Färbung, bis die Philosophie im Neuplatonismus beinahe gänzlich in Theosophie ausläuft. Hierhin gehören die mittlere und jüngere Stoa, der jüngere Skeptizismus, Lukrez, der Eklektizismus (Zusammenstückelung von philosophischen Gedanken) und der Neuplatonismus.
Sie beginnt mit der Eroberung Griechenlands durch die Römer (Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr.) und endet erst mit den letzten Ausläufern der antiken Philosophie im 6. Jahrhundert nach Christi Geburt.
Nun zunächst
Die Stoa
Die Stoiker betrachten sich im allgemeinen als die Abkömmlinge der alten Kyniker/Zyniker.
Zynismus ist heute ein sehr weit verbreitetes Phänomen, der auch auf eine gewisse Orientierungslosigkeit und die Missstände unserer Zeit zurückzuführen ist. Demnach seien bestimmte Berufsgruppen vermehrt von Zynismus betroffen, wie beispielsweise Mediziner oder Entwicklungshelfer, die ihre Unfähigkeit, helfen zu können immer wieder Tag für Tag hinnehmen müssen. Zynismus ist zwar aus dem Kynismus entstanden, weist aber dennoch grosse Unterschiede auf, vor allem in seiner Entstehung. Dennoch sind viele Aspekte des Kynismus ungeklärt. Das liegt zum einen am Mangel an zeitgenössischen Quellen, aber auch daran, dass der Kynismus mit der Spätantike unterging und man sich erst in der Neuzeit wieder mit dieser philosophischen Lehre auseinander setzte. Besonderes Aufsehen erregte die Thematik von Kynismus und Zynismus aber 1983 mit dem von Peter Sloterdijk erschienenen zweibändigen Werk „Kritik der zynischen Vernunft“, in dem er den Kynismus/Zynismus als gesellschaftliches Phänomen der europäischen Geschichte behandelt.
Antisthenes und Diogenes von Sinope stehen bei der höchstem Ansehen. Philosophie und Lebenszweck besteht auch ihnen in der Übung der Tugend.
Jedoch halten sie diese nicht für möglich ohne Erkenntnis. Die allmählich sich einbürgernde Einteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik bleibt deshalb auch bei ihnen bestehen. Aber die Wertschätzung dieser Gebiete ist ganz verschieden. Die Logik – so lautet einer ihrer Vergleiche – ist der Umzäunung eines Gartens ähnlich, die Physik dessen Bäumen, die Ethik allein enthält das eigentlich Wertvolle: die Frucht. Immerhin haben die älteren Stoiker auch jene beiden ersten Wissenschaften mit Sorgfalt betrieben, während dieselben später immer mehr vernachlässigt und zuletzt, bei Epiktet, gänzlich beiseite gelassen.
Die stoische Ethik
Die Ethik wird von den Stoikern auf den mächtigsten und ursprünglichsten der menschlichen Triebe gegründet. Das ist aber ihnen zufolge nicht die Lust, sondern der Selbsterhaltungstrieb. Das Ziel des Menschen, das ihm allein innere Befriedigung und Glück bringen kann, muss daher sein, mit sich einstimmig, sich selbst getreu (Zenon) oder, wie Kleanthes es ausdrückte, mit der Natur einstimmig, der Natur gemäss zu leben.
Welcher Natur?
Auf diese Frage haben nicht alle Stoiker dieselbe Antwort gegeben. Die meisten kommen mit Chrysipp darin überein, dass beides miteinander im Einklang sei, die Natur des Alls und die individuelle. Denn das Vernunftlose gehorcht der ewigen Notwendigkeit aus Zwang, das Vernünftige aber fügt sich dem Logos oder göttlichen Weltgesetz aus freier Selbstbestimmung. So vereint sich die Freiheit des sittlichen Wollens mit der unentrinnbaren Naturnotwendigkeit, der sie bei der Gestaltung ihres Handelns unterworfen ist. Höchstes Ziel des Individuums ist, aufzugehen im Allgemeinen: ein Gedanke, der in dieser Reinheit nur in der indischen Philosophie, in der neueren Zeit erst bei dem Philosophen Spinoza zu finden ist.
Der Tugendhafte ist an sich der Weise. Dies die wesentlichsten Grundanschauungen der stoischen Ethik. Aber die Vernunft hat den natürlichen Trieb, sich in der Wirklichkeit zu betätigen.
Damit kommen wir zur angewandten Ethik oder Tugend- und Güterlehre. Die Autarkie der Tugend ist das positive Ideal des Weisen. Ihr negativer Ausdruck ist die völlige Ausschaltung der Gefühle in der Apathie (apatheia), d.h. der Freiheit von den Leidenschaften: Lust, Begierde, Trauer und Furcht, die als unvernünftige Regungen der Seele zu bekämpfen sind. Aus der Grundtugend – nach Zeno der Einsicht, nach Kleanthes der Seelenstärke, seit Chrysipp der Weisheit – gehen die drei übrigen Kardinaltugenden hervor, die sich dann noch in eine Anzahl von Untertugenden gliedern, und denen als die vier Kardinallaster ihre Gegensätze: die Unwissenheit, Feigheit, Zuchtlosigkeit und Ungerechtigkeit (mit weiteren Unterlastern) gegenübergestellt werden.
Der Mensch besitzt entweder alle Tugenden oder gar keine. Es gibt nur Weise oder Wackere (spoudaioi) auf der einen, Toren oder Schlechte (phauloi) auf der anderen Seite.
Der Übergang vom Bösen zum Guten ist demgemäß auch ein plötzlicher, eine Art Wiedergeburt. Was weder gut noch böse ist, ist gleichgültig. In stärkster Gegnerschaft zu Aristoteles und seiner Schule werden die sogenannten, äusseren Güter wie Ehre, Besitz, Gesundheit, ja selbst das Leben als gleichgültige Dinge (adiaphora) behandelt. Das einzige Übel ist die Schlechtigkeit (kakia), das einzige Gut die Tugend. Der Weise allein ist frei, reich, glücklich, ein wahrer König, ja den Göttern gleich, der Tor dagegen elend, unwissend, ein Bettler, ja ein Verrückter. In einer Hinsicht übertrifft der Weise sogar noch die Gottheit: er kann seine Seelenstärke im Dulden der Übel beweisen, Gott nicht.
Zenon selbst hat das Ideal eines Weltstaats entworfen, in dem keine Gerichtshöfe, Tempel, Gymnasien und Tauschmittel mehr nötig sind. Und die stoische Lehre vom »Naturrecht« hat jahrhundertelang das europäische Denken beherrscht.
Der Begründung der stoischen Ethik auf so dehnbare Begriffe wie Selbsterhaltungstrieb und Naturgemässheit, ihren Mangel an Erkenntnistheorie, ihre mancherlei Inkonsequenzen, steht ein nicht geringer Verdienst gegenüber: den Pflichtgedanken zum erstenmal philosophisch mit erhebender Kraft und Strenge gepredigt und den Gedanken in voller Reinheit betont zu haben, dass die vollkommene Pflichterfüllung in der rechten Gesinnung (to katorthôma) besteht.
Epikureer
Epikur ist im Jahre 341 als Sohn eines athenischen Schullehrers anscheinend auf der Insel Samos geboren, genoss eine unregelmäßige Jugendbildung, hörte später zu Athen Philosophen verschiedener Richtung, besonders den Demokriteer Nausiphanes, und bezeichnete sich anfangs auch selbst als Anhänger Demokrits.
306 gründete er in seinem Garten – daher der Name »Gartenphilosophen« (hoi apo‘ tôn kêpôn) – seine eigene Schule, die er bis zu seinem Tode 270 leitete. Mit den Studien war in dieser Genossenschaft, der auch Frauen angehörten, ein heiter- geselliger Ton verbunden, entsprechend der liebenswürdigen Persönlichkeit ihres Stifters, dessen sittlichen Charakter seine Gegner – und ihm folgend das ganze christliche Mittelalter – mit Unrecht verdächtigt haben.
Die epikureische Erkenntnislehre ist der stoischen verwandt. Ähnlich wie dort, wird sie nicht sowohl um ihrer selbst willen, sondern vielmehr als Einleitung zur Physik betrieben, sowie diese als Einleitung in die Ethik. Im Grunde gibt es für die Epikureer nur einen Massstab: die sinnliche Wahrnehmung.
Die Skeptiker
die Erlangung der unerschütterlichen Seelenruhe (Ataraxie) ist ihre Botschaft, in deren weiteren Bezeichnungen sie an Demokrit erinnern. Sie wird erreicht durch den Zweifel; denn durch das Ansichhalten des Urteils befreit sich der Geist von verwirrenden und beunruhigenden Irrtümern. Dreierlei muß man sich nach Timon zu diesem Zwecke klar machen: 1. Wie sind die Dinge beschaffen? 2. Wie haben wir uns zu ihnen zu verhalten? 3. Welchen Gewinn ziehen wir aus diesem Verhalten?
Auf die erste Frage antwortet er: Die Beschaffenheit der Dinge an sich ist uns völlig unbekannt. Die Wahrnehmung bezieht sich nur auf ihre Erscheinung, alle unsere Meinungen und Begriffe beruhen auf Satzung oder Gewöhnung. Jeder Behauptung lässt sich eine gleich kräftige Gegenbehauptung entgegenstellen.
Die Antwort auf die zweite Frage lautet daher: Wir dürfen nie etwas mit Sicherheit behaupten wollen, nie sagen: Es ist so, sondern höchstens: Es scheint mir so, müssen also mit unserem Urteil au uns halten.
Den ethischen Gewinn, den ein solches theoretisches Verhalten mit sich bringt, haben wir bereits oben in der ataraxia kennen gelernt.
Eine zweite skeptische Schule entstand erst gegen zwei Jahrhunderte später. Dagegen fand die Skepsis in etwas veränderter, zum Teil gemilderter Form dadurch weite Verbreitung, dass sie über ein Jahrhundert lang in einer der vier großen Schulen, nämlich der akademischen, Herrschaft gelangte.
Es folgt nun die
Römische Philosophie
Da diese, wie erwähnt, wenig Interessantes und nichts Neues bringt, wie die Philosohie der Stoiker, Epikureer, Skeptiker, u. a., wird sie nur kurz abgehandelt.
Ich zitiere ebenfalls streckenweise den deutschen Philosophiehistoriker Karl Vorländer, 1860 bis 1928:
Der römische Volkscharakter war wohl zur Reflexion, nicht aber zum theoretischen Spekulieren angelegt, vielmehr ganz dem Praktisch-Nützlichen zugewandt. Selbst die religiösen Anschauungen erscheinen von diesem Nützlichkeitsgeiste durchtränkt. So haben sich denn, während römisches Recht, römische Verwaltung, römisches Heerwesen ein Vorbild für Jahrtausende geworden sind, die eigentlich idealen Geistesmächte: Poesie, bildende Kunst und Philosophie, bei den Römern nie zu der Blüte entfalt, die sie in Hellas erreichten. Philosophie insbesondere galt dem Römer von altem Schrot und Korn als unnützer Wortkram, gar als sitten- und religionsgefährlich.
Zu letzterer Ansicht hatte wohl der Umstand nicht wenig beigetragen, dass der erste Vermittler griechischer Philosophenweisheit, der Dichter Ennius (239-169, nuZ), der auch ein naturphilosophisches Lehrgedicht Epicharm schrieb, gerade den rationalistischen Aufklärer Euemerus ins Lateinische übertrug und zwar nicht die Götter, aber eine göttliche Vorsehung leugnete. Den Sokrates erklärte Cato, 234 vuZ. in Tusculum bis 149 nuZ. in Rom, war römischer Feldherr, Historiker, Schriftsteller und Staatsmann, er gilt bis in die heutige Zeit als Musterbeispiel eines römischen Konservativen, – für einen mit Recht hingerichteten Schwätzer, und noch in den Jahren 173, 161 und 155 wurden auf sein Betreiben Senatsbeschlüsse gefasst, durch welche die griechischen Rhetoren und Philosophen – im letzten Falle die athenischen Gesandten – aus Rom ausgewiesen wurden.
Allerdings konnte man sich mit dem zunehmenden Verfall des Glaubens und der Sitte der Väter und mit der Entwicklung des Reiches zum Weltreich nicht dem Eindringen griechischer Philosophie durch Gewaltmassregeln wehren, zumal da dem, was der gebildete Römer in erster Linie von der Philosophie zu erlangen wünschte: Belehrung über die sittliche Aufgabe des Menschen und den besten Weg zur Glückseligkeit, daneben theoretische Vorbildung zur öffentlichen Laufbahn, gerade die Philosophie der hellenistischen Schulen entgegenkam.
Griechische Philosophen, wie Panätius, kamen nun nach Rom, und noch häufiger begab sich die vornehme Jugend auf kürzere oder längere Zeit nach den Hauptstätten griechischer Weisheit: Athen, Rhodus und Alexandrien, um die Vorträge berühmter Rhetoren und Philosophen zu hören. Es wurde dies bald ebenso als ein Erfordernis höherer Bildung betrachtet, wie heutzutage etwa der Besuch der Universität. Dennoch hat die Philosophie in Rom nie recht heimisch zu werden vermocht. Die Mehrzahl der Philosophen sind nicht römischer Abstammung, und, die es waren, haben auf diesem Felde nichts Neues, Eigenartiges geleistet, geschweige denn einen wissenschaftlichen Fortschritt gezeitigt, sondern in der Regel nur eine Wiederholung oder Umschreibung des von den Griechen bereits Geleisteten geliefert.
Alle griechischen Philosophenschulen haben allmählich Eingang bei den Römern gefunden. Zunächst und am meisten diejenige, die der Mannhaftigkeit (virtus) und dem Staatssinn, zugleich aber auch dem Tugendstolz des Römers und seiner Neigung zur moralischen und juristischen Haarspalterei am weitesten entgegenkam und der römischen Volks- und Staatsreligion sich am besten anzupassen wusste: die sogenannte mittlere Stoa.
Sind ihre wichtigsten Vertreter auch noch Griechen von Geburt, so wirken sie doch bereits nicht bloss im römischen Reich, sondern hauptsächlich auch auf Römer. So lebte Panätius von Rhodus (um 180-110) mit dem Geschichtsschreiber Polybios zusammen längere Zeit in Rom und gewann dort den jüngeren Scipio (Ämilianus) und Lälius nebst ihrem ganzen Kreis für die Philosophie. Wie fast alle späteren Stoiker, fasste er die Philosophie rein von der praktischen Seite; auf die theoretischen Schulsätze legte er keinen besonderen Wert mehr. Neben den Häuptern seiner eigenen Schule hält er auch die klassischen Philosophen Demokrit, Plato und Aristoteles hoch und führt sie häufig in seinen Schriften an. Durch Milderung stoischer Härten, z.B. Anerkennung der äusseren Güter als zur Glückseligkeit mitwirkend, sowie durch gewandte und geschmackvolle Darstellung wusste er der von ihm vertretenen Richtung viele Freunde zu erwerben. Folgenreich ward insbesondere die Verbindung der naturrechtlichen Theorie der Stoa mit der positiven Rechtswissenschaft der Römer. Zur stoischen Lehre bekannten sich so bedeutende Gelehrte und Staatsmänner wie Stilo und Q. Scävola, die »Begründer der wissenschaftlichen Philologie und wissenschaftlichen Jurisprudenz« (Mommsen).
Aus der Verschmelzung von stoischer Philosophie und römischer Religion entstand eine Art philosophischer Staatsreligion der Gebildeten. Höchstwahrscheinlich von Panätius hatte derselbe Scävola, der zugleich auch Pontifex Maximus war, seine Lehre von der dreifachen Theologie: der Dichter, Philosophen und Staatsmänner, entlehnt. Die mythologische Darstellung der ersteren sei unwahr und unwürdig, die vernunftgemäße der Philosophen zwar wahr, aber für die Masse unbrauchbar, die dritte, die den herkömmlichen Kultus aufrecht hält, unentbehrlich. Von den Schriften des Panätius haben wir nichts erhalten, doch können wir auf ihren Inhalt schliessen aus Ciceros, 106 vuZ. bis 43 vuZ, römischer Politiker, Anwalt und Philosoph, der berühmteste Redner Roms und Consul, Büchern, denen Panätius‘ Schrift Über das zugrunde lag.
Neben der Vernunft nahm er auch Gemüt und Begierde als besondere Seelenvermögen an, aus denen er die Affekte herleitete. Im ganzen erscheint er dogmatischer als sein Vorgänger. Er galt als der Gelehrteste und Wissenschaftlichste unter den Stoikern. Seine Forschungen und Schriften erstreckten sich auf so ziemlich alle positiven Wissenschaften seiner Zeit: Mathematik, Astronomie, Physik, Geographie, Geschichte und Grammatik.
Der Römer Cicero also Vertrat Lehren der Stoa und gilt als Inspirator des Humanismus.
Seneca, (3-65 nuZ), in Corduba (Cordova) in Spanien geboren, dann Erzieher und später erster Minister Neros, von diesem zum Sterben genötigt, hat sich mit praktischen Fragen der Ethik befasst.
Epiktet, etwa 50 bis 138 nuZ, schrieb das berühmte Handbuch der Moral mit Sprüchen, wie solche einst die Sieben Weisen verkündeten.
Die letzte Erscheinung unter den Stoikern der Kaiserzeit, der Zeit überhaupt, ist ihr Vertreter auf dem Kaiserthron: Mark Aurel „der Philosoph“ (121-180), seine Schrift sind die Selbstbetrachtungen „An sich selbst“, eine spiritualistische, zur Mystik neigende Schrift. Während Epiktet ins volle Leben greift und von aller Mystik weit entfernt ist, rät Mark Aurel, sich auf sich selbst zurückzuziehen, mit seinem Genius sich zu besprechen. Er unterscheidet schärfer als seine Vorgänger zwischen Körper und Geist; Gott schaut die Seele rein, ohne körperliche Hülle. Er sehnt sich öfters nach der Stunde, wo der Geist diesen Leib aus Staub verlässt. So leitet er schon zum Neuplatonismus über. Dieser Zug ist keine Verherrlichung blosser Beschaulichkeit, sondern im Gegenteil, zum Tätigsein ist man in die Welt gekommen.
Die jüdisch-alexandrinische Theosophie
Philo (Judaeus)
In Alexandrien hatte sich jüdisches und griechisches Geistesleben verschmolzen, wovon u. a. die schon zu Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. begonnene Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, die sogenannte Septuaginta, zeugt. Wie sich der alexandrinische Jude in wirtschaftlicher und politischer Beziehung als wichtigen Bestandteil des griechisch-römischen Weltreichs fühlen konnte, so war sein natürliches, auch noch in die römische Zeit hinein dauerndes Streben, griechische und jüdische Bildung (Philosophie) einander näherzubringen.
Alle vereinzelten Bestrebungen dieser Art konzentrieren sich in der Gestalt Philos, eines aus vornehmer, priesterlicher Familie stammenden alexandrinischen Juden, der 40 n. Chr. an der Spitze einer Gesandtschaft die Interessen seiner Stammesgenossen vor Kaiser Caligula in Rom vertrat. Damals war er schon alt; man setzt seine Lebenszeit in die Jahre 25 vor bis 50 nach Christi Geburt.
Philo bleibt in erster Linie Jude. Er ist von der höchsten Verehrung für die heiligen Schriften seines Volkes erfüllt. Aber er bewundert, neben Moses als grösstem Philosophen, doch auch die Weisheit eines Plato und Pythagoras, eines Parmenides und Empedokles, sowie die Stoa. Um nun beides miteinander vereinigen zu können, greift er zu dem Mittel unbeschränktester bildlicher Auslegung der alttestamentlichen Schriften.
Es sei unwürdig und abergläubisch, sich beispielsweise Gott mit Füssen zum Gehen vorzustellen; der Baum des Lebens bedeute die Gottesfurcht, Kain die Sophistik usw.
Wichtige Momente des platonischen Idealismus sind in Philos Philosophieren enthalten. Das Zeugnis der Sinne gilt ihm als unzuverlässig; das wahre Sein liegt vielmehr im Denken. Deshalb bedarf die reine Vernunft (nous), die das Gedachte »schaut«, der Wissenschaft, um das Unkörperliche zu erkennen. Das Wesen des Denkens aber ist Einheit. Und so ist das höchste Ziel, wozu sich der Menschen Denken aufschwingen kann, die Erkenntnis des einen, absolut einfachen, gänzlich eigenschaftslosen »Seienden«, das zugleich das erste und vollkommenste Gut ist. Der Zentralbegriff der philonischen Philosophie, in dem sein theoretisches wie sein ethisches Interesse gipfelt, ist die Gottheit.
Die höchste Aufgabe des Menschen ist, gottähnlich zu werden durch den Sieg des Geistes über das Fleisch (sarx), die gänzliche Ausrottung der Leidenschaften.
Im einzelnen haben Philos sittliche Anschauungen vieles (Einfachheit des Lebens, Idee der Menschheit, demokratisch-soziales Staatsideal, Weltbürgertum, Schilderung des Weisen und des Fortschreitenden) mit Plato und noch mehr mit den Stoikern gemein, mönchische Weltflucht liebt er nicht.
Nur durch Gottes Gnade wird der Mensch gerecht. Gott allein wirkt in uns das Gute. Nur der ist wahrhaft gut, der das Gute um Gottes willen tut Alle Weisheit stammt aus dem Glauben; die Wissenschaft ist nur als Hilfsmittel zur Frömmigkeit von Wert. Das oberste Ziel und höchste Gut für die Menschen ist, Gott nachzueifern, ihm zu dienen, die höchste Seligkeit, hinter der alles Denken und Wollen weit zurücktritt, das Schauen Gottes, das Beharren in Gott, das Sichversenken in die Gottheit, wie es schon die alten Propheten kannten, wobei der Einzelne nichts mehr von sich selbst weiss, sondern ganz in Gott aufgeht: die Verzückung oder Ekstase (ekstasis).
So endet Philo im reinsten Mystizismus. Unmittelbare Nachfolger in Alexandrien hat er nicht gefunden, dagegen ist es sowohl für die Dogmatik des Christentums und die gesamte christliche Mystik, als auch für die letzte Philosophie des Altertums, den gleich zu besprechenden Neuplatonismus, von bedeutendem Einfluss gewesen, während er das Verständnis der echten platonischen Ideenlehre ebendadurch getrübt hat. Und ebenso ist er durch die von ihm geübte Methode, religiöse Urkunden in ein philosophisches System aus- und umzudeuten, ein Vorläufer der mittelalterlichen Scholastik, ja, wenn man will, der gesamten spekulativen Theologie geworden.
Die Neuplatonische Schule
Noch einmal vor seinem Absterben erhebt sich der philosophische Geist des Griechentums zu einer Neubildung in großem Stil. Um die Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts werden die theosophischen Gedankenströmungen zu einem in seiner Weise grossartigen System zusammengessaßt durch den Neuplatonismus, insbesondere durch dessen grössten Vertreter: Plotin.
204 in Ägypten geboren.
Erkenntnistheoretische Grundlage.
Er hat seinen Meister Plato vielleicht tiefer als mancher von dessen unmittelbaren Schülern erfasst. Dahin gehört zunächst die Wertschätzung der Mathematik, die an das richtige Denken gewöhne, und der er deshalb gern seine Beispiele entlehnt; ebenso der Dialektik, die darin übe. Wir sind direkt an Plato erinnert, wenn er das Denken ein Schauen, ein andermal ein Erzeugen oder Gebären nennt, und dass die Dinge nicht ausserhalb des denkenden Geistes (nous) existieren. Auch den platonischen Gedanken der Hypothesis finden wir bei Plotin wieder, ebenso seine Gleichstellung mit der Idee, ferner die Begriffe des Einheit, des Nichtseienden. Die Begriffe sind auch ihm das Erzeugende, die gesamte Natur heisst ein »Begriff« (logos). Desgleichen sind Raum und Zeit nur Kategorien unseres Denkens. Plotin hebt – vielleicht zum ersten Male in der Geschichte der Philosophie – die Identität des Denkenden und Gedachten im Selbstbewusstsein hervor (später Hegel).
Lehre vom Ur-Einen.
Das Absolute wird von ihm als das Eine, das Gute oder die Gottheit bezeichnet. Dies Eine ist erhaben über alles Sein, auch über das Denken, es ist „übervernünftig“. Nicht bloss keine körperliche, sondern auch keine geistige Eigenschaft kann diesem Urersten (prôton) beigelegt werden. Wie es ohne Gestalt und Grenze ist, so besitzt es auch weder Denken noch Wollen noch Tätigkeit, ja nicht einmal ein Bewusstsein seiner selbst. Von seinem Wesen können wir uns durchaus keine Vorstellung machen, weil es von allem uns Bekannten, Endlichen völlig verschieden ist.
Aus der Überfülle des Ur-Einen geht nach Plotin das Viele durch Ausstrahlung (eklampsis emanatio) hervor, wie von der Sonne die Wärme, von dem Schnee die Kälte ausstrahlt, ohne dass sie deshalb etwas von ihrer Substanz verlieren. Die erste so erzeugte Ausstrahlung oder Abspiegelung des Urgrundes alles Gewordenen ist die Vernunft oder der Geist (nous). Er ist schon mit der Zweiheit behaftet, denn er setzt ein Erkennendes und ein Erkanntes, ein Bewusstsein und dessen Gegenstände voraus. Ihm immanent (als Erkanntes) sind die Ideen, zugleich Gedenken (Urbilder) und bewegende Kräfte (dynameis). Die Grundbegriffe oder Kategorien, in denen der Geist denkt, entnimmt Plotin Platos Sophistes; es sind fünf: Sein, Beharren, Bewegung, Identität (tautotês), Verschiedenheit (heterotês).
Der nous, Verstand, Vernunft, Geist seinerseits erzeugt als sein Abbild, ebenfalls wieder durch Ausstrahlung, die Seele, die Vermittlerin zwischen der geistigen und der Körperwelt. Sie empfängt anschauend den Inhalt des Geistes, die Ideenwelt, und formt nach diesem Urbild aus der Materie die Sinnenwelt. So hat sie Anteil an beiden, ist beiden zugewandt. Ja, Plotin spricht auch wohl von zwei Seelen, einer höheren, rein geistigen und einer zweiten niederen, die das Körperliche gestaltet. Und zwar betrifft das sowohl die Welt- wie die Einzelseele. Auch die immaterielle Weltseele strahlt eine zweite, die gestaltende Naturkraft (physis) aus, die aus feinstem Äther besteht und mit dem Weltkörper verbunden ist, wie unsere Seele mit unserem Körper.
Und so folgt nun weiter – nicht in zeitlicher, sondern in gedanklicher Folge -, in Gestalt immer weiterer Ausstrahlungen und Abbilder, eine unendliche Stufenreihe weiterer Wesen oder Kräfte mit stetig abnehmender Vollkommenheit. Die niedrigste und unvollkommenste Erscheinung der göttlichen Urkraft ist die Materie, die übrigens nicht als körperlich, sondern ähnlich wie bei Plato und Aristoteles, als das Form- und Bestimmungslose gedacht wird. In der Welt der Erscheinungen tritt Zwiespalt und Vielheit an die Stelle der Einheit, Zeitlichkeit an Stelle der Ewigkeit, Scheinbilder an Stelle des wahrhaft Seienden. In der Abkehr vom letzteren zum Nichtigen und Kraftlosen liegt zugleich das Wesen des Bösen, das jedoch nirgends rein für sich vorkommt und eigentlich nur in dem Fehlen des Guten besteht. Trotzdem bietet die ganze Welt, da sie ja von der göttlichen, einheitlichen Weltseele erzeugt worden ist, ein Bild durchgängiger Harmonie und Sympathie. Sie ist so schön und vollkommen, wie eine materielle Welt nur sein kann: was Plotin in seinen zwei Abhandlungen Über die Vorsehung ausführlich zu begründen sucht.
Ethik.
Auch hier finden sichAnsätze zu einer erkenntniskritischen Begründung. Die Erkenntnis ist Voraussetzung der Ethik, nur ein bewusstes Handeln kann sittlich heissen. Die Lust vermag keinen Massstab abzugeben, das Gute ist vielmehr um seiner selbst willen zu erstreben. Wird das Gute – und die damit identische Gottheit – auch hoch über die Wirklichkeit erhoben, so erkennen wir es doch nur durch »ein Analoges in uns; es wird nur dadurch möglich, dass wir es denken. Das Gute ist ferner, bei aller Verschiedenheit der Zeiten und Sitten, im letzten Grunde doch nur eines; sonst würde man nicht das Ziel, sondern Ziele suchen. Selbst Gott ist ohne Tugend ein blosser Name.
Plotins Überschätzung des Denkens führt ihn dann freilich zu einer Geringschätzung des Willens, dessen Freiheit übrigens schon, ganz ähnlich wie später bei Kant, in der Selbstgesetzgebung der Vernunft erblickt wird.
„Wenn die Seele die eigene Vernunft zum reinen und leidenschaftslosen Führer hat, dann ist dies Streben allein unser Werk, das nicht anderswoher kommt, sondern von innen, aus der reinen Seele“ (Enn. III, 1). Und gar nicht mystisch, eher stoisch klingt der Ausruf: „Was sind wir schließlich! Doch nur, was wir in Wahrheit als wir selbst sind, denen die Natur auch die Herrschaft über die Leidenschaft verlieh. Denn Gott gab uns, die wir zugleich infolge der Natur unseres Leibes gehemmt sind, die Tugend, die keinen Herrn über sich duldet“ (Enn. II, 3).
Aber wie seine theoretische Philosophie (s. oben), so bekommt dann auch Plotins Ethik einen immer stärkeren religiösen Grundzug.
Ästhetik.
Wenn so bei Plotin die Ethik, Physik und Logik, sich schliesslich in religiöse Mystik auflöst, tritt anderseits bei ihm stärker als bei irgendeinem Philosophen seit Plato das ästhetische Moment hervor. Gleich seine erste Abhandlung ist der Begriffsbestimmung des Schönen gewidmet. Die Schönheit liegt, so lautet seine von echtem Künstlersinn eingegebene Erklärung, in der Bewältigung des Stoffes durch die Idee, dem Durchleuchten des Idealen in der sinnlichen Erscheinung. Zu jenem Läuterungsprozess der Seele gehört es auch, dass wir, von der Betrachtung des Sinnlich-Schönen anfangend, allmählich aufsteigen zu dem an sich, geistig oder Ur-Schönen. Denn eben in seiner Schönheit besteht die Natur des Geistigen; der Urgrund des Seins ist mit dem Urquell des Schönen identisch. Die Sehnsucht nach diesem nennt Plotin, Platos Symposion folgend, die Liebe (erôs).
Der wahre Künstler begnügt sich nicht mit der einfachen Nachahmung der Natur, sondern schafft nach den in seiner Seele wohnenden Urbildern (logoi) der Schönheit.
Eine eigentliche Philosophie des Schönen, d.h. eine feste begriffliche Bestimmung und systematische Scheidung desselben vom Seienden (Wahren) und Guten, findet sich bei Plotin noch weniger als bei Plato: „Das Gute und das Urschöne sollen als dasselbe gesetzt werden“.
Gefühl und Phantasie sind bei ihm mächtiger als logische Erwägung, der beschauliche Grundzug seines Denkens drängt zugleich den Willen zurück.
Der Volksreligion stellte sich Plotin nicht feindlich gegenüber, sondern suchte sie durch rein geistige Umdeutung ihrer Mythen und Gebräuche einerseits mit seinem System in Übereinstimmung zu bringen, anderseits dem neubelebten religiösen Bedürfnisse seiner Zeit – das Christentum bestand schon zwei Jahrhunderte – anzupassen.
Er verwarf alle Astrologie, alles Prophezeien und Wahrsagerei. Und er persönlich begnügte sich mit dem inneren Gottesdienste. „Die Götter müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen“, sagte er zu seinem Schüler Amelius, der ihn in seinen Tempel mitnehmen wollte, und seine letzten Worte sollen, seiner Lehre getreu, gelautet haben: „Ich versuche jetzt das Göttliche in mir zu dem Gotte im All zurückzuführen.“
Die athenische Schule
Proklus
Nachdem der alte Glauben im Kampfe gegen das siegreiche Christentum endgültig unterlegen war, wandten sich die Neuplatoniker, statt theosophischer Spekulation und polytheistischer Restaurationsversuche, wieder mehr der gelehrten Tätigkeit, namentlich der Erklärung platonischer und noch mehr aristotelischer Schriften zu, wie Dexippus und Themistius. Diese Philosophen des 5. und angehenden 6. Jahrhunderts treten als Leiter der alten platonischen Schule zu Athen auf, die noch immer bestand.
Der bedeutendste unter ihnen war ein Schüler der beiden genannten, der Syrier Proklus (410-485), der eine merkwürdige Mischung von philosophischem Tiefsinn und dürrer Gelehrsamkeit, scharfsinniger Dialektik und kritiklosem Wunderglauben darstellt. Auch er kommentierte platonische Schriften.
Er ist nicht der bloss Mystiker. Er arbeitete mit Platos Hypothesen, und er hat in seinem Euklid-Kommentar eine in platonischem Geiste gehaltene Philosophie der Mathematik gegeben, insbesondere das Mass als die Gleichheit des Ungleichen bestimmt. Die Vernunft überhaupt ist ihm das Mass der gesamten Erkenntnis. Er sucht die Notwendigkeit der Voraussetzung von Plotins Ur-Einem dialektisch zu begründen und die Weise begriffsmäßig zu bestimmen, wie es sich in der mannigfaltigen Welt der Erscheinungen darstellt. Die Art, wie er hierbei zu Werke geht, ist ein Vorschein von Hegels dialektischer Methode.
Ausgehend von dem plotinischen Grundgedanken der Entfaltung des Einen zum Vielen und dem Zurückstreben des letzteren zur Einheit, nahm er drei Entwicklungsstufen alles Seienden an: das Beharren monê, Hervorgehen proodos und Zurückstreben epistrophê. Aber dieser an sich wertvolle Entwicklungsgedanke wandelt sich nun in Proklus‘ Scholastik in ein auf alles Denkbare ausgedehntes System von „Dreiheiten“, zuweilen abwechselnd mit „Siebenheiten“, um.
An die Stelle wirkender Ursachen treten tote Abstraktionen, an die Stelle eines philosophischen Lehrgebäudes ein Labyrinth von phantastischen Gebilden, an die Stelle von Denknotwendigkeit eine mystische Zahlenspielerei. Daneben tritt eine Verarbeitung der gesamten bisherigen, hellenischen und nichthellenischen, Theologie, einschließlich der Mysterien mit allem ihrem Aberglauben, zu einem schematischen System.
Die „Ethik“ des Proklus fordert eine in fünf Stufen erfolgende Erhebung zum Übersinnlichen, die in dem mystischen Einswerden mit der Gottheit gipfelt.
Ende der antiken Philosophie
Der letzte Vertreter ist der in Athen gebildete edle Römer Boethius (480-525), der auf Theoderichs Befehl hingerichtet wurde (König der Ostgoten und Stellvertrtreter des Oströmischen Kaisers). Obwohl er äusserlich dem Christentum angehört haben soll, ist doch seine Schrift, die er sich selbst zum Trost, in Prosa abwechselnd mit Versen, im Kerker niederschrieb, zwar von echt religiösem, aber nicht christlichem, sondern antikem Geistegeprägt. Sie weist eine Mischung von gemässigtem Neuplatonismus und Stoizismus auf. Ihr Grundgedanke ist die Besiegung aller Affekte durch die Vernunft und das Vertrauen auf Gottes Vorsehung. Durch seine zahlreichen, lateinisch geschriebenen Kommentare und Übersetzungen, besonders der logischen Schriften des Aristoteles ist er ein einflussreicher Lehrer des christlichen Mittelalters geworden.
Im Jahre 529 hob Kaiser Justinian die Philosophenschule zu Athen durch kaiserliche Verordnung als unchristlich ausdrücklich auf, zog ihr nicht unbeträchtliches Vermögen ein und verbot für die Zukunft alle Vorträge hellenischer Philosophie.
Der letzte Schulleiter, Damascius und sechs seiner Genossen, darunter Simplicius, wanderten nach Persien aus, wo sie in König Chosroës einen der Philosophie freundlich gesinnten Herrscher zu finden hofften, kehrten aber bald enttäuscht zurück. Die antike Philosophie blieb fortan Sache der Gelehrsamkeit, bis sie im Anfang der neueren Zeit zu neuem Leben erwachen sollte.
Schluss
Wir haben nun fast 1.000 Jahre Philosophie erlebt, von Thales um 550 vuZ bis zum Tode von Proklos 485 nuZ.
Die zweite Periode, Mittelalter, reicht bis ins 16. Jahrhundert, also wieder etwa 1.000 Jahre.
Bisher agierte die Philosophie während der heidnischen Religion der Griechen, dann auch Römer.
Von nun an existiert die Philosophie innerhalb der christlichen Welt.
Wir sehen nun die Philosophie der Araber, die vorrübergehend die Philosophie des Abendlandes überholte, und dann die scholastische Philosophie (die auf antike Philosophie gestützte, christliche Dogmen verarbeitende Philosophie und Wissenschaft) und die der Kirchenväter, die zu einer Verstandesmetaphysik und zu einer formellen Dialektik herabsankt und das freie Denken und begreifende Bewusstsein aufgab.
Wir übergehen diese Zeit mit „Siebenmeilenstifel“, wie Hegel in seiner „Geschichte der Philosophie“ schreibt, da es sich, ähnlich wie beim Buddhismus, Islam, Judentum, auch Hinduismus stark um religiöses Denken handelt, die religiöse Dogmen rechtfertigten, oder sich nur indirekt kritisch äussern konnten (Apologie).
Grosse Philosophen dieser Epoche sind u. a.: früh Augustinus, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Abaelard, Anselm von Canterbury und islamische und jüdische Philosophen wie Avicenna, Maimonides, Averroes, und dann Wilhelm von Ockham, Bernhard von Clairvaux.