Kurzüberblick über kulturgeschichtliche Entwicklungen musikalischer Variationen
Selbstschutz Musik
Kulturen der Menschheit wirken über symbolische Systeme, im Wesentlichen durch Sprachen, das menschliche Bewusstsein an sich und für sich, und dann über ihre ökonomischen Beziehungen, über ihre Liebes- und Heiratsbeziehungen und über Religionen und über Wissenschaften und schließlich über die Künste. Und unter den Künsten genießt die Kunst der Musik einen vorzüglichen Rang, als unsichtbare, ästhetische Dimension, weder redend noch bildend, welche nach substanziellen Momenten in der Liebe und in der Freude, im Unglück und im Tod sucht und dichtet und komponiert und musiziert, dirigiert und arrangiert und produziert und singt.
Am Anfang war Mangel,
Weltangst, Schutzlosigkeit und Armut und Überlebenskampf der Steinzeitmenschen. Vor etwa zwei Millionen Jahren begann das menschliche Wesen aufrecht zu gehen, wodurch der Kehlkopf sich veränderte und Voraussetzung für Gesang schuf, und ebenso veränderten sich die Nahrungsgewohnheiten, weswegen sich die Mundhöhle erweiterte und Möglichkeiten für differenzierte Laute schuf. Und seit etwa 200.000 Jahren schlägt sich der homo sapiens durch. Der Mensch begann zu singen, bevor er zu sprechen begann, denn die menschliche Stimme hat mehr Ausdrucksfähigkeiten, als für das Sprechen notwendig ist, drei Oktaven, für Sprache genügt eine halbe Oktave, eine Quinte. Gesang und dann erste Musik gehörten als Ausdrucksmittel zum Überlebenskampf und bei der Partnerwerbung. Weil Singen und Musizieren der Menschheit Nutzen verschafft, gibt es sie überhaupt und andere Künste, denn was keinen Nutzen hat, sortiert die Evolution aus. Was der Menschheit nützt: Selbstschutz gegen Ängste des Lebens – Wissen und Kreativität.
Über die so genannte Gehörspur nehmen bereits Embryos Laute wahr, und sie reagieren ruhig bei harmonischen Lauten und unruhig bei unharmonischen Lauten, wie später als Babys und Kleinkinder. Frauen reden mit ihren Babys mit höherer Stimme und mit Singsang und sie singen sie mit Liedern in den Schlaf.
Männer singen, tönen, schmettern, um ihre Kräfte und Mächtigkeit zu zeigen und somit beschützend und beruhigend auf Frauen zu wirken und zu signalisieren, dass sie potenten Nachwuchs zeugen und eine Familie erschaffen können, – in der Steinzeit wie heute. Heute sind weibliche Reaktionen bis zu Ekstasen bei Konzerten von Sängern und Musikern zu erleben. Das funktioniert auch medial über TV etc., weil Singen und Musizieren unsichtbar berührt, ohne zu berühren. Und das auch in Gemeinschaften, in weltweiten Gemeinschaften über das Internet, ohne dass die Menschen persönlich anwesend sind. Die vom jeweiligen Menschen geliebte Musik nimmt Geist und Psyche und damit Körper als Glücksgefühl auf – ein Schlager im Sinne von Erfolg, gleich welchen Musikstils.
Der Stamm des Wortes „Schlager“ ist gemeingermanisch. Am 17. Februar 1867 wurde das Wort erstmals im „Wiener Fremdenblatt“ verwendet anlässlich der Aufführung des Walzers „An der schönen blauen Donau“: „Die Eröffnungsnummer der zweiten Abteilung war ein entschiedener Schlager“.
– Bei der Weltausstellung 1867 in Paris wurden von den Verlagsdrucken unter dem Namen „Le beau Danube bleu“, insbesondere die zweihändige Klavierfassung, rund eine Million Exemplare verkauft. –
Vermutet wird, dass das Wort „Schlager“ in Wien in Anlehnung an den an sich gefürchteten „Blitzschlag“ eingeführt wurde, denn ein Schlager schlägt wie ein Blitz ein. Heute, im Zeitalter der Bomben, wird gerne bei unterschiedlichsten Gelegenheiten von Schreibenden, die nicht reflektieren, was sie schreiben, die Metapher benutzt „…schlägt ein wie eine Bombe“.
1881 wurde das Wort Schlager in der „Wiener National-Zeitung“ als Beschreibung für Gesangslieder verwendet, für Opern- und Operettenlieder und Singspiele der so genannten „Wiener-Klassik“, welche bisher als „Gassenhauer“ bezeichnet wurden, weil diese sich über die Eliten hinaus in alle Bevölkerungsschichten mit „durchschlagendem“ Erfolg verbreiteten.
Bereits gegen Ende des Mittelalters waren Trinklieder und Spaßlieder, derbe und unsittliche Lieder, Liebes- und Klagelieder, wie später in Operetten und Opern, im Volk verbreitet, auch als Kirchenlied. Die gleichsam massenhafte Verbreitung von Liedern, Schlagern wurde zusätzlich zu mündlichen Überlieferungen durch die Erfindung des Buchdrucks und somit auch des Notendrucks ermöglicht.
Das Wort Schlager wurde nun zunehmend in Musik- und Theaterkritik und -journalismus verwendet und durch die Erfindung des Grammophons und des Films verbreitet.
Schließlich ist das Wort Schlager seit Beginn des 20. Jahrhunderts zum Gattungsbegriff geworden.
Nach der Neolithischen Revolution,
zwischen 20.000 und 3.000 vor unser Zeitrechnung, je nach Region zeitlich unterschiedlich, arbeitete der Mensch für ein besseres Leben – wenn er nicht als Sklave, römischer Proletarier, später als Fronarbeiter, als Leibeigener, ab der Industriellen Revolution als Fabrikarbeiter eingesetzt wurde oder er gar ohne Arbeit war und als Bettler vegetierte.
Schließlich wurden vor etwa 12.000 Jahren Teile der Menschheit sesshaft, sie begannen neben Jagen und Sammeln mit Ackerbau und Viehzucht und bauten Häuser. In dieser Phase phantasierten sich die Menschen Fetische, Symbole, Geister, Gottheiten als übermächtige Kräfte, die ihr Leben bestimmten, sie begannen sich künstlerisch auszudrücken mittels der Herstellung von Figuren, Schmuckstücken und von Malerei an Höhlenwänden und: sie formten Töne mit dem Mund, pfiffen und sangen und schrien, und mit einem der Ruhe und Frieden vermittelnden ältesten Instrumente, der Flöte, erzeugten sie Harmonien als Beruhigungs-Äquivalent zu melodischem Summen und Singen. Die Psyche der Menschen begann zu sublimieren, Eindrücke geistig, künstlerisch, abstrakt zu verarbeiten und Ängste zu beruhigen.
Der Hirte ist seit antiken Zeiten der gute Hirte,
der auf die Wiederkunft des vergangenen „Goldenen-Zeitalters“ verweist, dem ursprünglichen Idealzustand der Menschheit, Allegorie des Glücks und des Friedens, musizierend mittels der Flöte. Der gute Hirte steht als Wächter für Humanität, gesellschaftliche Anteilnahme, Philanthropie, gilt als Symbol für Schutz und Ordnung. So ist der Hirte Hüter, Züchter und Erzieher der Einzelnen und der Vielen. U.a. wurde der legendäre sumerische König der Stadt Uruk, Gilgamesch, um 3.000 v.Chr., vom Unmenschen zum „guten Hirten“: „Das Lied ist nun zu Ende. / Der Gesang, die Musik ist verstummt; / du wolltest mich lieben, so war es doch? / Nun, Ischtar (Göttin, Himmelskönigin), du willst mich lieben?“ [Gilgamesch-Epos].
In der griechischen Antike
galt der Landstrich Arkadien als der Ort des verlorenen Goldenen Zeitalters, und das Hirtenvolk der Arkadier als Idealvolk, welches unbelastet von mühsamer Arbeit und gesellschaftlicher Anpassung in der Idylle der Natur friedlich und glücklich im Einklang mit der Natur Muße, Liebe und: Dichtung und Musik pflegte. Derart wurde in der bukolischen Dichtung, der „Hirtendichtung“ und den „Schäferliedern“, das Leben der Hirten besungen, u.a. von Terpandros, dem Römer Vergil, Theokritos, Moschos, Bion von Smyrna und in der lateinischen Bukolik von Calpurnius Siculus und Nemesian, welche wie auch Vergil einen Hymnus über den verstorbenen berühmten Hirten Meliboeus geschrieben haben, der den als Kind ausgesetzten Ödipus aufgezogen hatte. Oder z. B. Hymnen auf den griechischen Hirtengott Pan oder Bacchus bzw. Dionysos oder über die Hirten Lycidas und Mopsus. Und sogar der Gott des Alten Testaments wurde als Hirte des Hirtenvolkes interpretiert, und Jesus von Nazareth sagte von sich im Neuen Testament: „Ich bin der gute Hirte“.
In der griechischen Mythologie war Pan der Gott der Hirten, Narziss war ein Hirte, auch Paris, der wie Ödipus von den Eltern ausgesetzt und von Hirten erzogen wurde.
Der Gott Hermes, Sohn des obersten Gott Zeus, wird als Urbild des guten Hirten verehrt. Hermes ist der Bote, der den Menschen die Botschaften der Götter überbringt und diese ihnen interpretiert. Er ist nicht Kurier, sondern fordert und fördert Verständnis und Einsicht von den Menschen in die göttlichen Botschaften. Nach ihm wurde die Wissenschaft vom Erklären und Verstehen, „Hermeneutik“ benannt. Die antike Philosophie identifizierte ihn mit einer der philosophischen Hauptkategorien, dem „Logos“, der göttlich-menschlichen Vernunft.
Wie sich die Schrift als Kettenbrief und Flaschenpost über Jahrhunderte durch die Geschichte der Menschheit zieht, zieht sich auch gesungenes Lied und gespielte Musik seit der Menschwerdung durch die Geschichte, hallt der Ruf der Hirten in den Lichtungen des Seins als Echo im Ohr. In diesen alten Zeiten des beginnenden Denkens verließen sich die Denker und Redner auf ihr Gedächtnis und mündliche Überlieferungen, da es keine Bücher und keinen E-Mail-Verkehr gab. Das „Erinnernde“ und „Sinnende“ genoss höchsten Respekt in der mythologischen Konstruktion der Musen als Göttinnen der Schönen Künste, der Musik und Literatur, der Astronomie und der Geschichte und der beginnenden Philosophie. Und ebenfalls wurde Musik und Gesang mündlich überliefert, da es keine CDs und kein Radio gab.
Das Ideal des nomadischen Hirtenlebens wird gut eintausendfünfhundert Jahre später in der humanistischen Renaissance und im Barock aufgegriffen und in unzähligen Gedichten, Liedern und Gemälden bis ins 18. Jahrhundert hinein zelebriert. Und in der Epoche der Aufklärung priesen Goethe (er schrieb selber Lieder), Schiller u.a. Aufklärer Arkadien als Symbol für das Goldene Zeitalter.
Göttliche Schlager
Archäologen fanden eine 42.000 Jahre alte Flöte aus Schwanenknochen, mittels derer Lieder gespielt werden konnten wie auf einer Panflöte und auf einer Blockflöte. Und entdeckt wurden um die 40.000 Jahre alten 20 Zentimeter lange Flöten aus Vogelknochen und Mammutelfenbein auf der Schwäbischen Alb. Die Menschen hatten mehrere Löcher in die Knochen geschnitten und angeschrägt. So konnten mehrere Töne, aber auch Obertöne erzeugt werden, so dass jedes Lied gespielt werden konnte.
Musikalische Ausdrucksweisen und Instrumente erfanden die Menschen, noch bevor im Neolithikum Weben, Spinnen, Sticken, Töpfern, der Schirm als Schutz vor Sonne, Kochen und Würzen von Speisen, Werkzeuge und Waffen, der Spiegel, das Rasiermesser, Schmuck, Öl-Pressen und -Lampen, der Pflug, die Uhr, das Rad und die Schrift erfunden wurden.
Noch vor der Erfindung der Flöte gab es die Trommel,
das bis heute magische Instrument, die leicht zu bauen und vorbildlich auch als Hohlkörper in der Natur vorhanden war, man musste nur mit Händen, Holzstäben und Knochen immer wieder und unaufhörlich darauf schlagen und dazu Rhythmen und Melodien mit Händeklatschen begleiten und mit dem Mund summen und pfeifen und schreien und singen und dazu tanzen und schließlich mit weiteren Instrumenten wie Rasseln, Schwirren, Pfeifen begleiten: der Anfang des Schlagers, Gassenhauers, Ohrwurms, Hits.
Wie oben gezeigt entstand das Wort „Schlager“ um 1870 im Wien der Operetten. Vorherige Bezeichnungen für alltäglich gesummte, gepfiffene und gesungene Lieder waren „Gassenhauer“ und „Straßenlied“. Weil Operetten und Singspiele und deren Lieder einen „durch-schlagenden“ Erfolg, „eingeschlagen“ hatten und so zum Verkaufs-Schlager wurden, erkannte man Musik als vermarktbaren Wirtschaftsfaktor: Konzerte, Straßenaufführungen, Notenblätter mit Texten.
Schlager, Gassenhauer, Ohrwurm, Hit, Evergreen, Klassiker bis hin zu Ekstasen kultischer Riten von so genannten heidnischen Völkern über Naturreligionen, Mythologien und die großen Religionen und Weltanschauungen in Antike, Mittelalter und Neuzeit bis hin zur Moderne und den modernen Fans (lateinisch fanaticus), sakralisierter Stars und deren Erscheinung und Performance in Stadien und Messehallen.
Später kamen ein- und mehrseitige Zupfinstrumente
und schließlich Lyra und Harfe hinzu, und zur Zupfmusik wurde auch gesungen. Und ab welcher Zeit Menschen komponierten und dazu Noten und Liedtexte dichteten, verweist auf Funde in Ägypten um 4.300 v. Chr. Der Liedtext ist dargestellt mit Figuren Sängerinnen und Musikern und handelt von der Liebe und Schönheit einer Frau. Und es gab Männer, vielleicht auch Frauen, welche Rhythmen und Tonvariationen arrangierten und dirigierten und als Lied und Vorführung produzierten.
Und 1.400 v. Chr. fanden Archäologen in der antiken Stadt Ugarit in Syrien Komposition und Textdichtung für ein Lied auf Tafeln in Keilschrift geschrieben, eine Hymne an die sumerisch-akkadische Mondgöttin Nikkal, mit Anmerkungen für eine neunsaitige Leier, Harfe, die „Sammûm“ genannt wird; Intervalle und der Refrain wurden auch vermerkt.
In der griechischen Mythologie stellte der Götterbote Hermes am Tag seiner Geburt aus dem Panzer einer Schildkröte die Leier her. Hirtenflöte, auch Panflöte genannt nach dem antiken griechischen Gott der Hirten, und Zupfinstrumente galten dem Ausdruck der menschlichen Verbundenheit mit der Natur, der Einsamkeit und der Sehnsucht nach Liebe. Klagen über Armut, Krankheit, unerfüllte Liebe und Trost werden später, insbesondere bei Johann Sebastian Bach, Themen der Konzerte für Orgel werden, deren Vorläufer die Panflöte ist. Und Orpheus, Sohn der Musen, war Schöpfer der Musik und des Tanzes. Als Sänger und Lautenspieler soll er Götter und Menschen, Tiere und Pflanzen und sogar Steine zum Weinen gebracht haben.
Der Gott der Schreibkunst war im alten Ägypten auch der Schöpfer der Musik.
In der hinduistischem Religion ist Brahma Gott der Sprache und Schöpfer der Musik. Auch Gott Krishna ist Hirte und spielt Flöte.
Griechische Musik und indische Musik glichen sich in einheitlicher Tonkunst, Sprache, Tanz und Gestik und wurden als eine Art von Theater angesehen – wie die ZDF-Hitparade.
In der chinesischer Mythologie hat ein Wundervogel den Menschen die Tonleiter geschenkt.
Bei den Azteken stammt die Musik von der Sonne. In den Ursprungsmythen der Völker ist Musik Werk von Göttern, Geistern und übernatürlichen Personen und Wesen. Schamanen und Medizinmänner agierten mit ihren Gesängen und Rhythmen sowohl zur magischen Vertreibung von Dämonen als auch zur Vermittlung von Freude und Glück bis hin zu Ekstasen.
Künste, Musik wirken rituell und symbolisch als Selbstschutzsystem und verleihen Immunität.
Mittelalter macht Minneschlager
Nach der prähistorischen Musik und Musik des Altertums folgte die Musik des Mittelalters im 8. bis 15. Jahrhundert, dann die Renaissancemusik im 15. und 16. Jahrhundert, die Barockmusik um 1600 bis 1750, und die Klassik um 1730 bis 1830 und die „Wiener Klassik“ und dann die Musik der Romantik im 19. Jahrhundert und schließlich die Neue Musik im 20. und 21. Jahrhundert: Impressionismus, Expressionismus, Atonale Musik, Neoklassizismus, Wiener Schule, Oldtime-, Klassischer-, Modern- und Free-Jazz und Schlager- und Rockmusik u.a.
Bis es nach der Musik der Antike zu Bach und Renaissance-Musik kam,
verbreitete die so genannte Zeit des „finsteren“ Mittelalters ihre helle und bunte musikalische Pracht der nachrömischen Rittertradition. Troubadoure und Minnesänger sangen Minnelieder mit lyrischer Erzählkunst von höfischer Liebe und unerfüllter Sehnsucht. Im strahlend hellen und farbigen und duftenden Südfrankreich wirken die ersten Troubadoure, darunter Wilhelm IX. von Aquitanien, 1071-1126, welcher als erster weltlicher Lyriker des Christlichen Abendlandes in einer Volkssprache dichtete, nicht im Herrschafts-Latein.
Die „hohe Minne“
war Werbelied und Minnegesang des Mannes an eine Frau, auch umgekehrt, als Monolog und als direkte Ansprache an die Auserwählte und in anderen Arten der Ansprache. Walther von der Vogelweide brach dann mit der hohen Minne und erfand das so genannte „Mädchenlied“, auch niedere oder erreichbare Minne genannt. Im „Kreuzlied“ wird der Kreuzzug als Dienst an Gott besungen. Kriegs-, Marsch- und Friedenslieder gab es seit der Antike. Und schließlich wurden „Naturlieder“ als Mai-Lied, Sommerlied und Winterlied gesungen.
Instrumentiert wurde die Minne mittels Harfe, „Fidel“, eine Vorform der Violine, die Drehleier und Blasinstrumente wie Flöte, Schalmei, Fanfare.
Die Minnezeit war eine bunte Schlagerwelt, deren Lieder vom Volk gesungen wurden, Gassenhauer und später in „Singspielen“ auf Bühnen inszeniert.
Das berühmte germanische „Hildebrandslied“ ist ein Heidenepos mit Vater-Sohn-Konflikt aus dem 9. Jahrhundert.
Und die „Carmina Burana“ sind eine Sammlung von 254 mittellateinischen, mittelhochdeutschen, altfranzösischen und provenzalischen Lied- und Dramentexten aus dem 13. Jahrhundert, Liebes- und Trinklieder, Klagegesänge und geistliche Hymnen, Schlager, die bis heute gespielt und gesungen werden.
Nach dem Neolithikum und der Antike gehören nun auch die im Mittelalter organisierte Arbeit und Kulturentwicklung zusammen. Die Arbeit der Bauern, Handwerker und Händler wurde von den beiden herrschenden Ständen der Dreiständegesellschaft, dem Klerus und dem Adel, dringend benötigt. Arbeit wurde nun als „ehrliche“ Arbeit gefordert und gnädig `erlaubt´, zur Versorgung des Adels und des Klerus.
So lebte man das Mittelalter hindurch arbeitend und mehr oder weniger hungernd und in elenden und bescheidenen Verhältnissen, und der Klerus betend und versorgt lebend, und der Adel feiernd, kämpfend und versorgt lebend. Und es gab einen inoffiziellen vierten Stand: Bettler, Prostituierte, Zuhälter, Diebe, Verbrecher, – und: Bettler, fahrendes Volk, arme Künstler, Musiker. Derart wurde erstmals das große Thema soziales Milieu konstruiert. Kontrollen, Disziplinierung, Repressionen, Verdacht wurden gegen die Armen eingeführt. Die Bürokratisierung und Pädagogisierung gleichsam des Volkes wurde organisiert, aus Armenfürsorge wurde Erziehung zur Arbeit, Arbeit wurde als Rezept gegen Armut definiert, und wer keine Arbeit hatte, oder als fahrendes Volk umherzog, statt einen festen Wohnsitz zu haben, war verdächtig und galt als arbeitsscheu oder gar kriminell. Diese gesellschaftlichen und mentalen Veränderungen wurden von den musikalischen, bildenden und literarischen Künsten verarbeitet in Liedern und Tänzen, im Bettlerspiegel, Scharlatanspiegel, Jahrmarktstheater etc.
Nachdem Armut in der bisherigen Menschheitsgeschichte
als eine Art naturgegebener oder gottgewollter Zustand hingestellt worden war, wurde im Übergang vom Spätmittelalter zum Industriezeitalter Armut als strukturelle Massendisposition im gesellschaftlichen Gefüge organisiert. Breite Bevölkerungsschichten wurden vom wachsenden Finanzkapital und Produktionsreichtum abgehängt.
Im 17. Jahrhundert entsteht der Begriff „Erfolg“, den es bis zum Ende des Mittelalters nicht gab. Mit dem aufsteigenden Bürgertum beginnt Konkurrenz, Männer sind nun erfolgreich oder nicht. Statt erfolgreich aus Gottes Gnade zu sein, ist man es nun durch ökonomischen Erfolg.
Der Begriff „Profit“ wird allgemein und bis dahin gebraucht für etwas, das nützlich für die Seele und die Entwicklung des Menschen ist. Erst hundert Jahre später wird der Begriff gepriesen, um einen einseitigen ökonomischen Vorteil zu bezeichnen.
Eine frühkapitalistische Wirtschaftsweise bricht durch, eine ökonomische Epoche, in der das Bürgertum der Städte im Bund mit dem absolut herrschenden König versucht, den ritterlichen Feudalismus zu zerstören, wie seit dem 13. und 14. Jahrhundert bereits angebahnt in Handwerkeraufständen in Italien.
Insbesondere das Handelskapital verstärkte seine unternehmerischen Anstrengungen, die erste Bank wurde von den Medici in Florenz gegründet, Manufakturen/gewerbliche (Gross-) Betriebe setzten sich neben den Handwerks-Kleinbetrieben durch, – ein offener Weltmarkt begann als frühkapitalistische Warenwirtschaft. Da Italien der Ort war, an dem die wirtschaftlichen Fesseln der Feudalzeit zuerst gesprengt wurden, ist Italien der Geburtsort der Renaissance.
Die neue Zeit der Renaissance
dann war nicht einfach eine Wiedergeburt alter Zeiten, der Antike, keine Wiederholung, vielmehr war es eine Neugeburt von Gedanken, die den Menschen noch nie in den Sinn gekommen waren, und ein Durchbruch wissenschaftlicher und künstlerischer Gestalten, wie sie bisher nicht auf der Erde zu sehen waren.
Zweierlei Neues entsteht so: Das Bewusstsein auf Basis der individuellen kapitalistischen Wirtschaftsweise als Überwindung der ständischen Wirtschaftsweise mit geschlossenem Markt und das Bewusstsein offener Weite gegenüber dem geschlossenen Weltbild der feudal-theologischen Gesellschaft.
Die Renaissance ist das Zeitalter der Erfindungen neuer Produktionsmittel und damit der Erfindung seiner selbst, des individuellen Bewusstseins, von individuellen Kräften, die bisher nicht entfaltet waren.
So spiegelt sich das Individuum im gesellschaftlichen Überbau und in künstlerischen Schlagern, Bestsellern, Hits, Klassikern:
Im Theater siegt das Charakterdrama über die höfischen Rollentypen. Insbesondere bei Shakespeare erscheint die unverwechselbare Person, statt der gleichmäßigen höfischen, bürgerlichen und bäuerlichen Menschen. Der einzelne Mensch bekommt ein individuelles Gesicht und Profil.
Geographisch ist es das Zeitalter der Entdeckungen der Ferne, u. a. Kolumbus und Magellans Erdumseglung.
Kosmologisch stellte Kopernikus das heliozentrische Weltbild gegen das geozentrische. Dass die Erde sich um die Sonne dreht, hatte bereits um 400 v. Chr. der antike Philosoph Archytas von Tarent formuliert. Und der französische Mathematiker Nikolaus von Oresme hatte ebenfalls diese Entdeckung gemacht und sie besser durchgerechnet als Kopernikus.
Dementsprechend entdeckt die Malerei ebenfalls die Weite und die Tiefen-Dimension, die Perspektive. Nach dem Mittelalter wandte sich der Blick endlich ab vom Jenseits der Hölle und des Paradieses hin ins Diesseits, um das Unendliche als offene Ferne zu suchen. Es entstand die Tiefe der dritten Dimension als Bildraum und Durchdringung der Natur. Der Beschauer blickt in die Tiefe des Raums durch ein offenes Fenster, ist selber in der offenen Szene. Solche stillen Bilder entstanden sowohl als Landschaften wie als Portraits – so bei da Vinci, Piero della Francesca, Jan van Eyck.
Musikalisch nimmt das geistliche Lied
eine dominierende Stellung seit dem frühen Mittelalter ein, kirchliche Lieder der christlichen Gebete, Liturgie und Riten, und der Lehren von Mystikern und Mystikerinnen.
Der Mystiker Meister Eckhard, 1260-1328, ersetzte das griechische Wort Ekstase aus den Zeiten der Lieder und Tänze um Apollon und Dionysos durch die deutschen Wörter „Verzückung“ und „Entzückung“.
Theresa von Avila, 1515-1582, versuchte den Unterschied in der religiösen Ekstase zwischen geistlicher und körperlicher Hingabe zu egalisieren: „Es gibt nur eine Liebe“, eine Stufenfolge von der „Vereinigung“ über die „Verzückung“ bis hinauf zur „Liebeswunde“.
Mystikerinnen beschrieben ihre ekstatischen Erfahrungen oft erotisch, so Mechthild von Magdeburg, 1210 – 1285, in ihrer Schrift „Ein fließendes Licht der Gottheit“: „O Du gießender Gott in Deiner Gabe! / O Du fließender Gott in Deiner Liebe! / O Du brennender Gott in Deiner Begier! / O Du schmelzender Gott in der Einigung mit Deiner Geliebten! / O Du ruhender Gott an meinen Brüsten, ohne den ich nicht sein kann!“ Mechthild schrieb als erste in deutscher Sprache, gehörte zur freiwilligen asketischen und Armutsbewegung von Frauen, die entsprechend dem Evangelium die Einheit von Gottesliebe und Nächstenliebe lebten. In ihrem Buch prangerte sie den Reichtum des Klerus an.
„Die Mitteilungen Gottes sind unfehlbar, wenn die Seele alles Bildes leer ist und im Vergessen aller geschaffenen Dinge steht; aber sie sind zweifelhaft, wenn sie durch Einbildungen wirkt und die Empfindsamkeiten sucht oder etwas anderes, was nicht in bloßer Weise Gott ist. Die Heiligen selbst haben in diesem Punkte geistige Eitelkeiten begangen, durch Visionen, Stimmen, Ekstasen und andere Empfindsamkeiten, zu denen die Einbildungskraft beiträgt“, Antoinette Bourignon de la Porte, 1616-1680, „Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker“, gesammelt von Martin Buber, Hrsg. Peter Sloterdijk.
„Ach, wer das sehen könnte! Ein großer, feuriger Engel schwebte vom Throne Gottes nieder über die Stadt Palermo, wo der Aufruhr herrscht, und sprach Worte der Züchtigung, und ich sah unten in der Stadt Menschen tot niederfallen“. Anna Katharina Emmerich, 1774 – 1824, Deutsche Nonne und Mystikerin, „Visionen über die Engel, die armen Seelen im Fegefeuer, die streitende Kirche.“ Aus den Tagebüchern von Clemens Brentano.
Auch der deutsche Ekstatiker Jakob Böhme verband Frömmigkeit und Erotik: „Die züchtige Jungfrau … wird dich führen zu deinem Bräutigam, der den Schlüssel hat zu den Toren der Tiefe … der wird dir geben von dem himmlischen Manna zu essen: das wird dich erquicken und du wirst stark werden und ringen mit den Toren der Tiefe. Du wirst durchbrechen als die Morgenröte“.
Geistliche Lieder waren Schlager und Gassenhauer schlechthin.
Text war bei den sakralen Gesängen des Mittelalters das Hauptmerkmal der Musik: Gregorianik, Psalmengesang, Messgesänge, christliches Lied, Singen im Kanon, Orgel als Hauptinstrument, Bußakte mit Lied, Kyrie und Credo und Fürbitten und Gloria, Ruf zum Evangelium und Antwortgesänge, Sanctus, Begleitgesänge bei Einzug der Priesterschaft, der Gabenbereitung und der Brotbrechung und beim Kommuniongang etc., geistlicher Schlager auch als Spiritual-Blues, Jazz, Rockmusik etc.
Lieder wurden Solo, im Chor und von der Gemeinde gesungen, als lateinischer liturgischer und außerliturgischer volkssprachiger geistlicher Gesang. Und das geistliche Lied umfasst in seinem breite Typenspektrum von privater Frömmigkeit bis zur Liturgienähe, vom Liedgut kirchlicher und nichtkirchlicher Gemeinschaften bis zum Repertoire von Kirchengemeinden sowie höfischen Gesellschaften, stadtbürgerlichen Bildungsschichten und Meistersingergesellschaften, Wallfahrts- und Pilgerlieder.
Bachs „Jesus bleibet meine Freude“; Händels „Hallelujah“; Bizets „Agnus Dei“; Mozarts „Laudate Dominum“, „Ave ve-rum“, „Gloria“; „Ave Maria“ von Schubert und von Donizetti und von Bach und Gounod; Gounods „Credo in unum Deum“; Francks „Panis angelicus“; Beethovens „Gloria in excelsis Deo“, „Die Himmel rühmen“, „Kyrie“; Bruckners „Te Deum“, „Sanktus“ u.v.a.
Zahlreiche Schallplatten, Tonkassetten und CD´s wurden und werden im 21. Jahrhundert produziert mit der Bezeichnung „Schlager“ für geistliche Musik, z.B.:
„Weltbild“ produzierte die CD: „Lobet den Herrn – Die 40 schönsten religiösen Schlager & Volksmusik-Hits (exklusive Version)“.
Label: „TELAMO Musik & Unterhaltung GmbH“, „Lobet den Herrn: Die 20 schönsten religiösen Schlager- und Volksmusik-Hits, CD (Rückseite)“, „Vater, ich komme zu dir, CD“,
„Der Herr ist mein Hirte – Eine musikalische Reise durch die Psalmen, 2 CDs“,
„Diese einmalige Kollektion vereint schönstes christliches Liedgut interpretiert von beliebten Sängern und Sängerinnen aus Schlager und Volksmusik. Diese Titel berühren die Seelen gläubiger Menschen, geben Frieden und verkünden das Wort Gottes auf eine ganz besondere Weise.
Dabei sind unter anderem die Stimmen der Berge, Stefanie Hertel, Heintje, Sigrid & Marina, Monika Martin, Henry Arland, Halleluja Paul, Margot Hellwig, Ronny und die Kastelruther Spatzen.
Mit: Lobet den Herrn, Ave Maria, Lied eines Engels, Ein stilles Gebet, Großer Gott wir loben dich, Maria Wiegenlied u. v.m.“
Nach den Liedern der Stein- und Bronzezeit und des Neolithikum und der Antike und dann den mittelalterlichen Liedern der Minnezeit verbreiteten sich volkstümliche Schlager, Gassenhauer, Hits, Evergreens als geistliche Lieder und schließlich als deutschsprachige Lieder und als das, was als Klassik kategorisiert wird, Musiktheater, Singspiel, Operette, Oper, Arie. „Alte Musik“ von Mittelalter über Renaissance bis hin zur Barockmusik, die Klassik und Musik der Romantik. Frühklassik von 1730 bis 1770 und Wiener Klassik von 1770 bis 1830 unterteilt.
Mozart verwendete in seinen Melodien „Gran Partita“, „Zauberflöte“, welche einen wilden Stilmix aus unterschiedlichsten Elementen der älteren Italienischen ernsten und komischen Opern (Opera seria und buffa um 1.700), den seit dem 16. Jahrhundert weit verbreiteten „Gassenhauer“ und sogar den Kontrapunkt Johann Sebastian Bachs.
Zahlreiche Schallplatten, Tonkassetten und CDs wurden und werden produziert, z.B.: Label: „Document“ (Membran), Audio CD (24. Juni 2013)
Titel: „Klassische Gassenhauer“, Box-Set,
Elisabeth Schwarzkopf (Künstler), Maria Callas (Künstler), Hermann Prey (Künstler), & 16 mehr,
Dirigent: Herbert von Karajan, Georg Solti, Leopold Stokowski,
Komponist: Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn, Antonio Vivaldi, Edvard Grieg,
Produktbeschreibungen:
Millionen Menschen in aller Welt sind diese Melodien vertraut. Doch längst nicht allen ist bewusst, dass sie aus dem unendlichen Vorrat der sogenannten “klassischen Musik“ stammen. Viele von ihnen wurden sogar zur Vorlage für Erfolgsschlager, wie “Stranger in Paradise“ (Polowetzer Tanz), “Überall auf der Welt“ (Nabucco-Chor) oder “In mir klingt ein Lied“ (Chopins Etüde op. 10 Nr. 3). Andere, wie Mendelssohns “Hochzeitsmarsch“ oder Wagners Brautchor aus “Lohengrin“, verschönern uns festliche Stunden. Und wieder andere sind mit Textzeilen wie “Reich mir die Hand, mein Leben“ oder “Auf, in den Kampf“ zu Zitaten in unserer Alltagssprache geworden. Sie alle verbinden sich auf diesen 10 CDs zu einem klangschönen Wiederhören von mehr als 170 Melodien, die uns ein Leben lang begleiten.
Wer bisher mit “Klassik“ nichts anfangen konnte, hier wird er zum Entdecker und schließlich zum Fan. Mit Maurice André, Claudio Arrau, Maria Callas, Mirella Freni, Nicolai Gedda, Ingeborg Hallstein, Herbert von Karajan, Mario Lanza, Nathan Milstein, Lucia Popp, Hermann Prey, Anneliese Rothenberger, Artur Rubinstein, Elisabeth Schwarzkopf, Georg Solti, Leopold Stokowski und vielen anderen.“
Lied ist Musik und ist Text, ist Dichtung, Lyrik, „Lyrics“, wie es auf Englisch bei Liedtexten genannt wird. Seit Anbeginn der künstlerischen Ausdrucksweisen mittels Musik und Dichtung, wie archäologische Funde lehren, hat das Lied den Rang von Gedicht, ist Gedicht, eben nach Liedern des Neolithikum und der Antike, mittelalterliche Lieder der Minnezeit und geistliche Lieder.
Mit der massenhaften Enteignung der Landbevölkerung,
der Aufwertung des Geldes im Verhältnis zu gegenständlichem Besitz und der Konzentration von Kapital als Privatbesitz bei wenigen, verbreitete sich im 18. und 19. Jahrhundert massenhafte Verelendung bei der durch die Umwälzung entstandene Klasse des Proletariats und offenbarte endgültig die Mangelhaftigkeit der wirtschaftsgesellschaftlichen Struktur sowie das Unrecht des zivilisierten Systems.
Der Begriff Pauperismus entstand nun, als sich verheerende Massenarmut ausbreitete. Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen, Kinder, Handwerker konnten kaum noch für ihren Lebensunterhalt sorgen, trotz zeitaufwendigem und hartem Arbeitseinsatz, und diejenigen, die durch die vorangegangenen Enteignungen ohne Arbeit waren, verarmten vollends.
So war 1848 auch das Jahr des Beginns von Auswanderungswellen von Europa in die USA. Sozial und gesellschaftlich unzufriedene, arme Bürger Deutschlands, hungernde Iren, arme Skandinavier, Russen, Italiener suchten in den USA ein besseres Leben. Für die europäische Gesellschaftsordnungen bedeutete die Abwanderung von Arbeitern, Arbeiterinnen, Hausfrauen, Hausmädchen und Handwerkern durchaus eine ökonomische, eine politische und auch eine kulturelle Bedrohung.
Und ebenfalls im Jahre 1848 schrieb der Mönch Antonio Rosmini-Serbati ein Buch, in dem erstmals nach dem Vorbild von Franz von Assisi aus den Reihen der Kirche soziale Gerechtigkeit gefordert wurde. Der Papst verbot das Buch.
Dieses 19. Jahrhundert war nicht nur eine Zeit von gesellschaftlichen, ökonomischen, geistigen und kulturellen Krisen, sondern es steigerte rücksichtslose Profitmaximierung und einseitige Verteilung, brachte Wirtschaftskrisen, Armut, Elend und Nationalismus, die Weltkriege, Völkermorde und Diktaturen des 20. Jahrhunderts hervor.
Mit der Armengesetzgebung im 19. Jahrhundert wurde die Spaltung zwischen Bürgertum, Arbeiterschaft und Armen festgeschrieben. Die sozialstaatlichen Maßnahmen, bedrängt durch politische Einflüsse der sozialen Bewegungen und der Gewerkschaften, gaben der Armut mildernde Umstände und implantierten diese als sozialstaatliche `Normalität´.
Mit der so genannten „Industriellen Revolution“ seit etwa dem Jahre 1750
und dynamisch ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verbreiteten sich Schlager, Gassenhauer, Hits ins Massenhafte, sowohl in den Herrschaftseliten als auch im so genannten Volk.
Das Leben wurde beschleunigt und im Volk erdrückend, musikalische Unbekümmertheit und Beschwingtheit gegen Zwänge sollten unterhalten und Freude und Trost und Demut spenden, in den Konzerthäusern für Adel, Militär, Klerus und Großbürgertum, und das so genannte „gemeine Volk“ pfiff und sang die Lieder in den Gassen, nicht nur Lieder der „leichten Muse“, sondern auch ernste Lieder wie „Die chinesische Flöte“, von Hans Bethge und Gustav Mahlers Vertonung des „Lied von der Erde“ sowie „Kindertotenlieder“ von Friedrich Rückert und „Lieder eines fahrenden Gesellen“ aus der Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ von Clemens Brentano und Achim von Arnim; „Buch der Lieder“ von Heinrich Heine; romantische Lieder von Goethe, Schumann, Schubert u.v.a.,
und Schlager von Mozart und Zeitgenossen und Operetten-Schlager, „Hoffmanns Erzählungen“, und im „Pariser Leben“ von Jacques Offenbach heißt es: „Ich möchte einen Cancan tanzen, / So frech wie die Pompadour, / Denn wir Pariser Pflanzen / Denken nur l´amour, l´amour“;
Offenbach gilt als „Vater der Operette“, u.a. „Orpheus in der Unterwelt“, „Die schöne Helena“; „Leichte Kavallerie“, “ Die Pariserin“;
Franz von Suppé gilt als Schöpfer der „Wiener Operette“, u.a. „Die schöne Galathée“; Walzer-Dynastie Strauß und Johann Strauß Sohn, die Superschlager-Operette „Die Fledermaus“, „Eine Nacht in Venedig“, „Der Zigeunerbaron“, „Wiener Blut“; Carl Zeller, u.a. „Der Vogelhändler“; Franz Lehár, u.a. „Die lustige Witwe“, „Der Graf von Luxemburg“, „Land des Lächelns“, „Der Zarewitsch“; Emmerich Kálmán, u.a. „Die Csárdásfürstin“ und 1924 „Gräfin Mariza“; und dann Paul Linke, der als „Vater der Berliner Operette“ gilt.
Opernlieder und insbesondere Operettenlieder und Einzellieder erlebten wegen der neuen musikalischen Kommunikationsmittel Schallplatte und Grammophon und schließlich Rundfunk und Film eine explosive Verbreitung als Gassenhauer, Ohrwurm, Evergreen, Klassiker, Standard, Hit, Schlager und, wie es in Frankreich heißt: „Variétés“ und „Chansons“, in England „Hit“ und Pop-Popular“, in Italien „Brani“ und „Canzone“ mit austauschbaren Melodienarten und Texten – weitere Superschlager:
„Hochzeitsmarsch“, „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“, „Träumerei“, „Sehnsucht nach der Taiga“, „Caprice viennois op. 2“, „O Fortuna – Ave formosissima – O Fortuna“, „Polonaise As-Dur“, „Minutenwalzer“, „Der Schwan“, „Valse triste“, „Hummelflug“, „Die Moldau“, “ Liebestraum A-Dur“, „Ich bete an die Macht der Liebe“, „Clair de lune“, „Aufforderung zum Tanz“, „Tango español“, „Halleluja“, „Caro mio ben“, „Türkischer Marsch“, „Ombra mai fu“, „Ave Maria“, „Blumenwalzer“, „Pizzicati“, „Castillane“, „Danse espagnole“, „Marsch der Zinnsoldaten“, „Carillon“, „Feuertanz“, „Bolero“, „Tritsch-Tratsch-Polka“, „Annen-Polka“. „Wein, Weib und Gesang Walzer“, „Polowetzer Tanz“, „Säbeltanz“, „Slawischer Tanz“, „Spanischer Tanz“, „Triumphmarsch“, „Gefangenenchor“, „Krönungsmarsch“, „Nessun dorma“, „Ungarischer Marsch“, „Soldatenchor“, „Faustwalzer“, „O mio bambino caro“, „La donna è mobile“, „Auf, in den Kampf“, „Zigeunerchor“, „Barcarole“, „Matrosenchor“, „Jägerchor“, „Letzte Rose“, „Holzschuhtanz“, „Reich mir die Hand, mein Leben“, „Behüt‘ dich Gott, es wär‘ so schön gewesen“, „Can Can“, „Wien, Wien, nur du allein“, „Dunkelrote Rosen“, „Tanzen möchte‘ ich“, „Dein ist mein ganzes Herz“, „Glücklich ist, wer vergisst“, „Hab‘ ich nur deine Liebe“, „Freunde, das Leben ist lebenswert“ u.v.a.
Nicht mehr mündliche Überlieferungen von Musik und Gesang und mittels geschriebenen Gedichten und Noten und selbst eigenes Musizieren und Besuch von Konzerten war zwingend notwendig, Musik konnte nun konsumiert werden und wurde als Massenware zunehmend verbreitet. Wurde mit Minneliedern um die Liebe geworben, stand nun Werbung um den Käufer im Vordergrund – der Bürger-Verbraucher entstand.
Selbstschutz- und Überlebens-Schlager
Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert verlagern sich die Kolonialkriege und nationalistischen Strebungen schließlich zum Ersten Weltkrieg.
Die gesellschaftlich herrschenden Gruppen und die Nationen haben dasselbe Ziel: Macht, Reichtum. Bei ihren Bestrebungen geraten sie untereinander in Konflikte. Die Ausstrahlung ihres Mythos besteht darin, dass sie die Gesellschaften sowohl zerstören als auch wieder aufbauen können. Zerstören sie eine Gesellschaft, entsteht die Sündenbock-Ekstase, bauen sie eine neue auf, entsteht die Heiligen-Ekstase, Vorbilder-Ekstase, Helden-Ekstase. Und anstatt sich der Ursachen dieser Krise und seiner selbst bewusst zu werden und sich mit den Ursachen zu beschäftigten, widmet man sich den Wirkungen.
Die Niederlage Deutschlands beendet das Kaiserreich, und nach revolutionären Aufständen wird die Weimarer Republik als erste parlamentarische Demokratie in Deutschland gegründet, welche wiederum 1933 durch die Nationalsozialisten abgelöst wird. Während der Weimarer Republik brach 1929 die New Yorker Börse zusammen und löste die Weltwirtschaftskrise aus, welche extreme Armut in Deutschland verbreitete. Menschen brachten ihre Habseligkeiten und Wertstücke ins Leihhaus, Pfandhaus oder zu Geldverleihern oder verkauften sie an entsprechende Händler, Schieber und Hehler, um an Bargeld zu kommen.
Die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts wurde als die des Nihilismus prophezeit, und für das 21. Jahrhundert wurden Diagnosen gestellt: infantiles Spassgesellschaft-Jahrhundert, Zeitalter der Verschwendung, Zeitalter der Extreme, der Naturkatastrophen, Hungerkatastrophen, der Fettleibigkeit, der Hysterien und Paranoia, der mangelnden Geistesbildung, Sprachbildung, der konsumistischen Langeweile etc.; und es wurden Megatrends ausgerufen wie u.a. Alkoholfrei, Gesundheit, Tierwohl, Bildung/New Learning, Freiheit, Natur, Neoökologie, Selbstverwirklichung, Individualisierung, Frauen (Female-Shift), Mobilität, Senioren (Silver-Society), New Work, des narzisstischen Selbstdesigns, des zynischen Bewusstseins, der hypernervösen Gemeinschaften, Stress und Verzweiflung und Aggressivität steigen und Identitäten lösen sich auf.
Aber die Verbreitung kultureller menschlicher Ausdrucksweisen war von nichts aufzuhalten. Ab etwa 1890 entwickelten Intellektuelle und Künstler fern der Kultur des Kaiserreichs neue Stile und Formen in der Malerei, in musikalischen Ausdrucksweisen, in der Literatur und im Theater sowie im Tanz und in der Architektur. Die musikalischen Künste verbreiteten mehr denn je substanzielle Momente der Liebeslyrik und Lyrik der Freude, des Unglücks und des Todes und des Trostes und der zahlreichen menschlichen Lebensangelegenheiten als Überlebens- und Selbstschutz-Künste.
Das 19. Jahrhundert endet in der Bildenden-Kunst mit Expressionismus und das 20. Jahrhundert beginnt mit Dadaismus und dann der „Neuen Sachlichkeit“, und es erscheint das bahnbrechende psychoanalytische Werk, „Die Traumdeutung“ von Sigmund Freud, welches von KünstlerInnen fasziniert begrüßt wird, Albert Einstein entwickelt die Relativitätstheorie, und nach „Atonaler-Musik“ nun Zwölftonmusik von Arnold Schönberg und Neoklassizismus von Igor Strawinsky u.a., Symbolismus und Jugendstil, Tanztheater und Ausdruckstänze und „Freier Tanz“ von Isadora Duncan u.a., Politische-Revue, Varieté, Arbeitertheater, Musik von Paul Dessau, Ernst Krenek, Hans Eisler, Kurt Weill und Texte von Bertold Brecht, die Weltausstellung in Paris u.v.a.
Auffällig ist, dass Einflüsse der Avantgarde-Komponisten der klassischen Musik in der populären Musik zunehmen und ehemalige Grenzen auflösen.
Hatten die antiken Völker die Welt noch gedanklich sphärisch umrundet und transzendiert, umrundeten im Mittelalter die Entdecker mittels Weltumseglungen mit Schiffen in persona den Globus und machten sich die Erde untertan. Schließlich wird der Globus in der Moderne durch Flugzeuge und Schiffe, Kapitalströme und Signale, Informationen, elektronische Kommunikation, TV, Internet, Bilder und Töne in einer Weise umrundet, das diese gleichsam eine zweite Erdatmosphäre bildet, somit auch eine Atmosphäre von Musik, wie „Luft von anderen Planeten“, schrieb der Dichter Jean Paul um 1814 in seiner Erzählung „Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele“.
Selbstbegegnung und Weltbewegung: Es findet also eine Umkehrung der Werte statt: das Jenseits wird zunehmend langweilig, statt dessen wird nun das Diesseits interessant und insbesondere der Trieb für eine bessere Welt. Eine bürgerlich-revolutionäre Gesinnung strebt nach einer menschlichen Freiheit, die auf der Suche nach wahrer Freiheit ist.
Durch die Verbreitung der Musik über Radio und Schallplatten und Kino und Theater werden Arien aus Opern zu Schlagern, wie Puccinis „Tosca“, ‚Der Rosenkavalier‘ von Richard Strauss, und Berthold Brechts ‚Dreigroschenoper‘, und Lieder aus Operetten, die „Berliner Operette“, Paul Linke als „Vater der Berliner Operette“ u.a. mit „Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft“, „Frau Luna“; Walter Kollo, u.a. „Wie einst im Mai“; und Eduard Künneke, u.a. „Der Vetter aus Dingsda“,1921; und Paul-Abraham, u.a. „Victoria und ihr Husar“ 1930 und „Die Blume von Hawaii“ 1931; Ralph Benatzky, u.a. „Im Weißen Rößl“ 1930; Robert Stolz, u.a. „Zwei Herzen im Dreivierteltakt „, aufkommende Musicals, Theater und Filmen zu Schlagern und Musiker und SängerInnen zu Idolen, wie Marlene Dietrich, „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, „Ein Freund, ein guter Freund“, aus dem Film „Die drei von der Tankstelle“ von 1930, u.a. mit Heinz Rühmann, und 1931, „Das gibt‘s nur einmal“, Lilian Harvey in „Der Kongress tanzt“. Und beliebt waren lustige Lieder mit Texten wie: „Was macht der Maier am Himalaya“, „Veronika, der Lenz ist da“, „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n“ u.v.a. Damit wurden u.a. die legendären „Comedian Harmonists“ bekannt.
Parallel verbreiteten sich in den 1920er Jahren Tanzhits, Foxtrott und Tango, neue Tänze wie Charleston, Black Bottom, Shimmy und der Lindy Hop, Tanzbars werden eröffnet und Tanzveranstaltungen arrangiert. Und das vielseitige Musikgenre Jazz aus USA wird zunächst als Tanzmusik zu Hits, insbesondere Dixieland und Swing.
Entsprechend wurden deutsche Big Bands und Jazz-Orchester nach amerikanischem Vorbild gegründet. Und Tonfilm und Operetten liefern Schlager sowie das neue Genre Musical.
Nach dem Ersten Weltkrieg gab es von 1918 bis 1923 die Elendsjahre mit Hungersnot, Arbeitslosigkeit, Bettelei. Besserungen kamen ab 1924, als die Rentenmark eingeführt wurde, die Hyperinflation stoppte und die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung in Gang setzte.
1927: „Hoppla wir leben!“, Ernst Tollers Gesellschaftspanorama: „Wir sprechen und hören uns nicht. Wir hassen und sehen uns nicht. Wir lieben und kennen uns nicht. Wir morden und fühlen uns nicht. Warum zertrümmert, verbrennt, vergast ihr die Erde? Muss es immer, immer so sein? – So dreht Euch weiter im Karussell, tanzt, lacht, weint, begattet euch, viel Glück, ich spring ab. Was treibt ihr? Wehrt euch doch! Keiner hört! Keiner hört. Keiner!“
Und 1929 brachen dann weltweit die Börsen zusammen und lösten Wirtschaftskrisen aus, und beförderte den Aufstieg des Nationalsozialismus – und damit den Anfang der Zensur und Umdeutung und Unterdrückung von Musik und anderer Kultur: so genannte „entartete“ Kunst, Tanz, Musik, Theater, Film … wurden für Propagandazwecke des Nationalsozialismus zugerichtet.
Wir machen Musik
Als „listenreicher Erfinder“ in seinen Künsten erwies sich der Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler und Kabarettist Helmut Käutner, insbesondere mit seinem Revuefilm: „Wir machen Musik“, mit Musik komponiert von: Adolf Steimel und Peter Igelhoff, Titellied gesungen von Hauptdarstellerin Ilse Werner.
Zu jener Zeit, als Josef Goebbels im Mai 1933 sagte: „Das Zeitalter des überspitzten jüdischen Intellektualismus ist vorbei“, war todesmutige List nötig, um der Kalt-Ekstase der Macht zu widerstehen. Ein Kameraschwenk zu einem „Schmuggler“, der sich mit der „List der Vernunft“ in Film und Musik der herrschenden Zensur der Nazis widersetzte.
Im September 1941 wurde den jüdischen Bürgern in Deutschland das sichtbare Tragen des gelben Sterns verordnet; dadurch wurden sie unfreiwillig zu Opfern gemacht.
Gleichzeitig organisierte Heydrich bis zum Jahre 1942 die „Endlösung der Judenfrage“, indem er die seit 1933 errichteten Konzentrationslager vollends zu Vernichtungslagern ausbauen ließ, mit Gaskammern und Krematorien und Fabriken, in denen Fremdarbeiter in den Dienst der Wehrwirtschaft gestellt wurden; die über fünfzig Jahre „danach“ – wenn es ein „danach“ gibt – keinerlei Respektierung und Zuwendung erfahren haben, nicht von den Konservativen und nicht von den Sozialdemokraten.
Einige Monate zuvor, im Juni ´41, war die deutsche Wehrmacht zum rassenideologischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion aufgebrochen.
Die systematische Massenverfolgung und Deportationen der Juden und ihre Vernichtung in Konzentrationslager begann im Juni 1942. Im selben Jahr avancierte Helmut Käutners Filmkomödie, „Wir machen Musik“, mit Ilse Werner, Viktor de Kowa, Grethe Weiser und Georg Thomalla zum Kassenschlager der Saison. Die Dreharbeiten dauerten vom 2. Juni 1942 bis Ende Juli. Am 3. Oktober ging der Film durch die Zensur und am 8. Oktober war die Uraufführung im Berliner Marmorhaus. Der Film erhielt die Prädikate „künstlerisch wertvoll, volkstümlich wertvoll, anerkennenswert“.
Helmut Käutner hatte das Drehbuch nach dem Lustspiel „Karl III. und Anna von Österreich“, von Manfred Rössner und Motiven von Erich Ebermayer geschrieben. Der Musikpädagoge und Komponist Karl Zimmermann, gespielt von Viktor de Kowa, verliebt sich in seine Schülerin Anni Pichler, gespielt von Ilse Werner, die sich gegenseitig romantisierend Karl III. und Anna von Österreich nennen.
Als Karl Zimmermann einen Abend in Begleitung einer Bekannten (Grethe Weiser) in einem Tanzclub verbringt, in dem seine Schülerin als Sängerin der Kapelle auftritt, lässt er ihr durch einen Kellner einen Zettel überbringen, auf dem steht: „Bitte kommen Sie in der Pause an unseren Tisch. KZ“
Auch in anderen Musikfilmen hatte Käutner die Zensur mit seiner Erfindungskunst des sichtbar Versteckten überlistet, wie in „Kitty und die Weltkonferenz“, 1939, in „Große Freiheit Nr. 7“, 1943/44, „In jenen Tagen“, 1945.
In „Wir machen Musik“ zeigt zum Schluss die Kamera de Kowa auf dem Balkon seiner Wohnung, wie er direkt in die Kamera spricht, das Publikum direkt anspricht und ihm einen Hinweis zur Verdunkelung bei Luftalarm gibt, 1942. Dieser Hinweis auf die gänzlich unfilmische Wirklichkeit des Alltags sowie die Szene, in der Anni den Zettel mit der Unterschrift unter der Botschaft, „KZ“ vom Kellner erhält, fehlen im ursprünglichen Drehbuch „Karl III. und Anna von Österreich“ von Manfred Rössner aus 1939. Und beide Szenen fehlen in dem Remake „Wir machen Musik“, als TV-Produktion des Süddeutschen Rundfunk ARD von 1966, unter der Regie und nach dem Drehbuch von Karl Vibach, der den Stoff nun in die Sechzigerjahre verlegte. Käutner hatte die Szenen zusätzlich in den Film platziert – `aus aktuellem Anlass´.
Mittels seines Films schuf Käutner einen erstrangigen Schlager: „Wir Machen Musik“, gesungen von Ilse Werner:
„Wir machen Musik, Da geht Euch der Hut hoch, Wir machen Musik, Da geht Euch der Bart ab, Wir machen Musik, Bis jeder beschwingt singt: Do, re, mi, fa, so, la, si, do. Wir machen Musik, Da geht Euch der Knopf auf, Wir machen Musik, Da bleibt Euch die Luft weg, Wir machen Musik, Bis Euch unser Takt packt: Do, la, so, mi, do. Mit Musik, Ist ja das ganze Leben nur noch halb so schwer, Mit Musik, Erreicht man ja auf dieser Welt bestimmt viel mehr. Wir machen Musik, Da geht Euch der Hut hoch, Wir machen Musik, Da geht Euch der Bart ab, Wir machen Musik, bis jeder beschwingt singt, Wir machen Musik, Wir machen Musik, Wir machen Musik! Wenn du auch mal Dein Glück verpasst, Beklag nicht dein Geschick. Und wenn du auch mal Sorgen hast, Vertreib sie mit Musik. Denn wer zum Trost kein Liedchen kennt, Pfeift auf dem letzten Loch Und wenn der ganze Schnee verbrennt, Die Asche bleibt uns doch. Badadadadi…“.
Das Lied sprüht vor „utopischer Funken“ und „Seitensprung“ (Ernst Bloch), und bietet Zukunftshoffnung auf ein baldiges besseres Leben.
50er Jahre Schlager-Vergnügen – „Pack die Badehose ein“
Besseres Leben erhofften sich die Deutschen nach Ende des Krieges und der Naziherrschaft in den Fünfzigerjahren. Nur wenige Hits aus der Nazizeit mündeten in die Fünfzigerjahre hinein, wie Willi Forst, „Unter einem Regenschirm am Abend“, Marika Rökk, „Ich warte auf dich“, Marlene Dietrich sang „Lili Marleen“ auf Englisch: und Lale Andersen auf Deutsch, und Hans Albers: „Auf der Reeperbahn“, „La Paloma“ u.a.. Dieses Genre ebbte dann in den Sechzigerjahren ab.
Während des Wiederaufbaus der zerstörten Städte und des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens wurden meist amerikanische Filme und Musik der amerikanischen und englischen Besatzer verbreitet. Swing-Musik von amerikanischen Tanzorchestern, Glenn Miller mit den Superschlagern, „In The Mood“, „Moonlight Serenade“, „Chattanooga Choo Choo“, u.a., und Schlager von US-Stars wie Doris Day und „Les Brown & his Orchestra“ mit „Sentimental Journey“ und „Till The End Of Time“, Woody Herman And His Orchestra mit „Apple Honey“, und Bing Crosby und The Andrews Sisters, „Don’t Fence Me In“ etc. Und bereits 1927 hatte Jerome Kern das Musical „Show Boat“ zu weltweiter Schlagerbekanntheit gebracht. Und derart ging es 1934 weiter mit „Anything goes“, von Cole Porter, 1945 „Carouse“ von Richard Rodgers und 1948 mit „Kiss me, Kate“ von Cole Porter.
Nach amerikanischem Vorbild entstanden deutsche Tanzorchester: Willy Berking und sein Orchester, Erwin Hartung und Orchester Adalbert Lutter, Michael Jary und sein Orchester, Deutsches Tanz- & Unterhaltungsorchester, das Schweizer Orchester von Teddy Stauffer u.a.
In der Phase des Wiederaufbaus bildete sich das so genannte „Wirtschaftswunder“ und der Wunsch nach Reisen, vorzugsweise nach Italien, woher die ersten Gastarbeiter kamen, mit Motorrad und Beiwagen, mit den ersten Autos er Nachkriegszeit: Isetta, Goggo, Lloyd und VW-Käfer. Entsprechend die Schlager: „Komm ein bisschen mit nach Italien“ von Caterina Valente, Peter Alexander und Silvio Francesco und „Tschau, Tschau, Bambina“, und „Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein“ von René Carol, und die „Capri-Fischer“ von Rudi Schuricke u.v.a., und SängerInnen Evelyn Künneke, Hilde Hildebrand, Ralph Bendix, Bully Buhlan, Fred Bertelmann und Lys Assia, Rocco Granata, Margot Eskens mit „Cindy“ und Caterina Valentes sang „Ganz Paris träumt von der Liebe“, Siw Malmkvist „Liebeskummer lohnt sich nicht“ und Connie Francis, „Die Liebe ist ein seltsames Spiel“, Spaßlieder mit Gus Backus, Billy Mo, Bill Ramsey, Trude Herr, und Stars auch für den Film wie Vico Torriani, Peter Alexander und die genannten in zahlreichen Spaßfilmen und Berg- und Waldfilmen mit Lederhosen und mit Rudolf Prack, Sonja Ziemann, Rudolf Lenz, Willi Forst, Marianne Hold, Dieter Borsche, Ruth Leuwerik, Liselotte Pulver, Paul Hubschmid, O.W. Fischer u.a.
So auch Freddy Quinn in vielen Filmen und insbesondere als Sänger mit Texten über Heimweh und Sehnsucht, Meer und Wüste; er verkaufte mit „Junge, komm bald wieder“, „Die Gitarre und das Meer“, „La Paloma“ u.a. die meisten Schallplatten.
Aus USA kamen neben Jazz und Swing Musicals nach Deutschland: „Can-Can“ von Cole Porter, „My Fair Lady“ von Frederick Loewe und „West Side Story“ von Leonard Bernstein und eine neue Jugendkultur: Rock’n’Roll, mit dem ÄraHelden Elvis Presley sowie Bill Haley, Little Richard, Buddy Holly, Jerry Lee Lewis u.a.
Verdeutscht wurde Rock’n’Roll von Ted Herold, Peter Kraus und Connie Froboess, die noch einige Jahre zuvor als Kinderstar gesungen „Pack die Badehose ein“ hatte.
„Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“
Aufbruch und Schlagerseitensprung in den Sechziger- und Siebzigerjahren
Protest gegen autoritäre Verhältnisse begann bereits nach der Gründung der Bundesrepublik wegen der Einführung der Bundeswehr und der Wiederbewaffnung, es folgte die Anti-Atomwaffen-Protestbewegung und die der Kriegsdienstverweigerer, die Friedensbewegung, Frauenbewegung, Bewegung gegen die Notstandsgesetze, gegen Rassismus etc., der Vietnamkrieg war weltweit aktivierend für die so genannte „68er“-Generation.
In den Fünfziger- und Sechzigerjahren lebte in Deutschland ein kollektives Unbewusstsein-Bewusstsein über die Gewaltekstasen von Vätern und Lehrern und von Männern der Kirche an Kindern.
Aus dem Rock’n’Roll der Fünfzigerjahre als Rebellion gegen die autoritäre Elterngeneration und das Establishment entwickelte sich Rockmusik und Blues u.a. von Deep Purple, Led Zeppelin, Pink Floyd, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Joe Cocker, The Who, Santana, Uriah Heep, Black Sabbath, Rolling Stones und so weiter sowie Beatmusik von den Beatles und zahlreichen Bands und Einzelinterpreten und Folkmusik u.a. parallel zu politischen Protesten weltweit wegen des Vietnamkriegs, der Rassentrennung, der Unterdrückung von Frauen, materieller Ausbeutung und Armut etc. als Epoche des Aufruhrs.
Juliana Werding sang das von Joan Baez, „The Night They Drove Old Dixie Down“ stammende Antidrogenlied „Am Tag, als Conny Kramer starb“, ein Thema, über welches auch andere sangen, und Katja Ebstein klagte mit ihrem Lied, „Diese Welt“ Umweltzerstörung an, Gunter Gabriel besang mit, „Hey, Boss, ich brauch‘ mehr Geld“ die ausgebeuteten Arbeiter, Jürgen Drews besang die freie Liebe im Kornfeld und Peter Maffay von nackten Frauen und jungen Schülern im Sommer und Altstar Peter Alexander von guter Nachbarschaft, Roy Black besang die Ehe und Udo Jürgens die Liebe zu minderjährigen Mädchen, und: „Es wird Nacht, Señorita“, und später „Ein bisschen Frieden“ von Nicole u.v.a. Protest-, Liebes-, Trost-, Klage- und Überlebens-, Heil-, Immunitäts-Lieder und Sehnsuchts-Lieder, wie der Sinn der Lieder antiker Hirten und Lieder der mittelalterlichen Troubadoure – anarchistisch zum Trotz „Negativer Dialektik“ (Adorno) und im „Vorschein“ mit „utopischen Funken“ Blochs und seines Schlagers als eines „Seitensprungs“ („Erbschaft dieser Zeit“).
Am 9.5.2009 sendete „Deutschlandradio Kultur“
einen Beitrag in ihrer Rubrik „Literatur“ mit dem Titel: „Lieder lügen nicht – Theodor Adorno hört Freddy Quinn – Dichter und Denker zur Kultur des deutschen Schlagers“.
Der Beitrag stammt von dem Autor des im Jahr 2000 erschienenen Buchs: „Schlager“, Reiner Moritz.
„Trotzig kommt es einher, dieses Lied aus dem Jahr 1974, das von Tina York gesungen und von Jack White, dem unter anderem auch für Tony Marshall verantwortlichen Mitklatschspezialisten, produziert wurde. Liebhaber des deutschen Schlagers erinnern sich mühelos daran, wie die kurzberockte Tina York mit „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“ in der ZDF-Hitparade auftrat und all jenen Mut machte, die sich ihren Musikgeschmack nicht von besserwisserischen Intellektuellen vermiesen lassen wollten.“
Wie oben geschrieben wurde 1881 das Wort Schlager in der „Wiener National-Zeitung“ als Beschreibung für Gesangslieder populär, für Opern- und Operettenlieder und Singspiele der so genannte „Wiener-Klassik“, welche bisher als „Gassenhauer“ bezeichnet wurden, weil diese sich über die Eliten hinaus in alle Bevölkerungsschichten verbreiteten, „durchschlagender“ Erfolg, und ebenso Schlager der „Berliner-Operette“, der Theater und Tanz- und Salonmusik und schließlich Jazz, Musical und Filmmusik,
der fließende Übergang von der Romantik des 19. Jahrhunderts in die Moderne mit kompositorischen Freiheiten verschiedenste Stile und Strömungen wie Impressionismus, Expressionismus, Neoklassizismus, dem Umbruch des Dur-Moll-Systems in der Harmonik und Oldtime-, Klassischer-, Modern- und Free-Jazz und Blues und weitere Unterhaltungsmusik Schlager- und zahlreiche Rockmusik Indie-Rock, Industrial Rock, Noise-Rock, Post-Punk, Cold Wav, Death-Rock, Gothic Rock … Pop-Art, Pop-Literatur, Pop-Musik und Disco, New Wave, Beat, Funk, Soul, Techno, Dubstep, Heavy Metal, Punk, Hip-Hop, Artrock, Rap, Metal, Folk-Rock … etc. …
April/Mai 2020